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Kassandra

Kassandra

Titel: Kassandra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Todes, ablehnen mußte: die Unterwerfung unter eine Rolle, die mir zuwiderlief.
    Ausweichen, ablenken, so wie immer, wenn ihr Name ansteht: Polyxena. Sie war die andere. Sie war, wie ich nicht sein konnte. Hatte alles, was mir fehlte. Zwar nannte man mich »schön«, das weiß ich, sogar »die Schönste«, aber man blieb ernst dabei. Wenn sie vorbeiging, lächelten sie alle, der erste Priester und der letzte Sklave wie das dümmste Küchenmädchen. Ich suche ein Wort für ihre Erscheinung, ich kann nicht anders, mein Glaube, daß eine geglückte Wendung, Worte also, jede Erscheinung, jedes Vorkommnis befestigen, ja oftmals sogar hervorbringen können, überdauert mich. Aber bei ihr versag ich. Sie war aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt, aus Liebreiz, Schmelz und Festigkeit, ja Härte, in ihrem Wesen war ein Widerspruch, der aufreizend wirkte, doch auch reizend, den man fassen, behüten oder aus ihr herausreißen wollte, und müßte man sie selbst dafür zerstören. Sie hatte viele Freunde, von denen sie nicht Abstand hielt, aus Schichten, in die ich damals gar nicht kam, sie sang mit ihnen, Lieder, die sie selber machte. Sie war gut und hatte zugleich den bösen Blick, mit dem sie mich durchschaute, nicht sich selbst. Ja. Sie anzunehmen, kostete mich Selbstverleugnung, sie kam mir nicht entgegen. Seit ich Priesterin geworden war, seit jenem Jahr des Schweigens gegen mich, gingen wir miteinander um, wie die Sitte des Palastes es von uns Schwestern forderte. Wir wußten aber beide, daß wir aufeinandertreffen mußten. Und wir wußten voneinander, daß wirs wußten.
    Dann erschrak ich doch. Sie, ausgerechnet Polyxena,kam, mir ihre Träume zu erzählen. Und was für Träume. Unlösbare Verstrickungen. Und ich, ausgerechnet ich, sollte sie ihr deuten. Wonach sie mich nur hassen konnte, und das schien sie auch zu wollen. Mit einem zügellosen, forschenden und fordernden Blick lieferte sie sich mir aus. Sie träumte, aus einer Unratgrube, in der sie hauste, streckte sie ihre Arme aus nach einer Lichtgestalt, nach der sie sich verzehrte. Wer war der Glückliche, versuchte ich zu scherzen. Trug er einen Namen? Trocken sagte Polyxena: Ja. Es ist Andron.
    Andron. Der Offizier des Eumelos. Mir verschlugs die Sprache. Verfluchtes Amt. Ja, sagte ich. Was man halt so träumt. Den man am Tag zuletzt gesehn hat, sieht man auch im Traum. Das ist ohne Bedeutung, Polyxena. Von der Unratgrube schwieg ich. Sie auch. Sie ging, enttäuscht. Kam wieder. Hatte sich, im Traum, auf die erniedrigendste Art mit Andron, dem Offizier des Eumelos, vereint, den sie im Wachen haßte. Sagte sie. Also was war los mit ihr. He, Schwester, sagte ich so burschikos wie möglich. Ich glaube, du brauchst einen Mann. – Den hab ich, sagte sie. Er gibt mir nichts. Sie quälte sich. Haßvoll, als könne sie sich endlich an mir rächen, verlangte sie, daß ich aussprach, was sie selber sich nicht sagen konnte: daß etwas in ihr, das sie selbst nicht kannte, sie zwang, sich nach diesem aufgeblasenen Jüngelchen zu verzehren. Nach diesem Nichts von einem Mann, der auf keine andere Weise von sich reden machen konnte als durch den unehrenhaften Dienst bei Eumelos. Den sie verabscheute, sagte sie. Ich kann nicht sagen, daß ich ihr am Anfang hilfreich war. Anstatt den Knoten, der sie einschnürte, zu lokkern, zog ich ihn durch Unverständnis fester. Ich wolltees nicht wissen, wie es kam, daß meine Schwester Polyxena höchste Lust nur dann empfinden konnte, wenn sie sich bis in den Staub dem Unwürdigsten unterwarf. Ich vermochte nichts gegen die Verachtung, die mir Polyxenas Träume eingaben, die sie natürlich spürte, nicht vertrug. Sie hat mit diesem Andron heimlich ein Verhältnis angefangen. Das gab es nicht. Nie hatte eine von uns Schwestern nötig, ihre Neigung zu verbergen. Mit tiefem ungläubigen Unbehagen sah ich zu, wie die Zustände im Palast, so als würde an ihnen einer drehn, uns ihre Kehrseite zuwandten, eine liederliche Fratze. Wie sie, von einem andern Zentrum aus, ein andres Übergewicht bekamen. Und eins der Opfer, das sie unter sich begruben: Polyxena.
    Nur, was ich damals nicht begriff und nicht begreifen wollte: daß manche nicht nur von außen, auch aus sich selbst heraus zum Opfer vorbereitet waren. Alles in mir stand dagegen auf. Warum?
    Jetzt ist es auf einmal wirklich still. Unendlich dankbar bin ich für die Stille vor dem Tod. Für diesen Augenblick, der mich ganz erfüllt, daß ich gar nichts denken muß. Für diesen Vogel, der

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