Kassandras Fluch
dunkel geworden, erreichten wir den Ort und meldeten uns bei den spanischen Kollegen, die mehr als große Augen bekamen, als sie uns sahen.
Schließlich — schon in den frühen Morgenstunden — erschien ein hoher Beamter, der auch Sir James kannte. Die beiden telefonierten miteinander, bevor wir mit unserem Chef sprachen, der aufatmete, als erhörte, daß wir es geschafft hatten.
»Ein Drittel haben wir, Sir!«
»Wunderbar, jetzt brauchen Sie sich nur noch die beiden anderen Teile zu holen.«
»Und wo?«
»Das sage ich Ihnen, wenn Sie hier sind…«
***
Istanbul!
Stadt am Goldenen Horn, Ort mit einer wechselvollen, interessanten, aber auch blutigen Geschichte. Tor zwischen Europa und Asien, Schmelztopf zweier Kulturen, ein Hexenkessel, der niemals zur Ruhe kam und immer weiter brodelte.
Wir waren da, denn hier sollten wir den zweiten Teil des Steins finden und abliefern. Es gab Spuren, wenige nur, aber sie mußten uns einfach reichen, wie Sir James erklärt hatte. Die Informationen hatte er uns zusammen mit den Flugtickets gegeben, und abermals hatte er sich sehr zurückhaltend gezeigt und auf unsere Fragen kaum Antworten gegeben.
»Finden Sie die zweite Hälfte des Rings und liefern Sie ihn ab.«
»Und wo befindet sich das letzte Drittel?« hatte ich wissen wollen.
»Das erkläre ich Ihnen, wenn Sie zurück sind.«
So waren wir dann aus seinem Büro geschlichen wie Schulbuben, die vom Direktor getadelt worden waren. Wütend und frustriert, selbst Glenda Perkins hatte uns nicht aufheitern können, zudem war sie nicht eingeweiht. Sir James hätte sich gehütet, sie einzuweihen. Sie wünschte uns eine gute Reise und eine glückliche Rückkehr.
Jetzt steckten wir in der Stadt am Goldenen Horn und erlebten sie als Horror. Ich meine damit nicht die Stadt, sondern das Klima, das zwischen den Häusern, den Plätzen in den Straßen und Gassen regelrecht festhing. Dumpf, schwül, die Luft stand, war angefüllt mit Gerüchen, die uns als nie abreißender Schwall entgegenwehten. Wir wurden von ihnen eingehüllt. Immer wenn wir Luft holten, hatten wir den Eindruck, etwas zu essen. Nicht nur die Gerüche umgaben uns. Die gesamte Altstadt bildete einen klebrigen Wirrwarr aus Stimmen, Lärm, Gestank, grellem Licht, bunten Farben, Ausdünstungen der Menschen, die sich durch schmale Gassen schoben, wobei sich Einheimische und Touristen vermischten — letztere blieben vor den Werkstätten der Handwerker stehen —, die sich nicht aus der Ruhe bringen ließen und weiterhin hämmerten, schnitzten, gravierten, webten oder stickten. Istanbuls Bazar gab dem Fremden einen ersten tiefen Einblick in das Leben des Orients, wobei auch der europäische Einfluß nicht zu übersehen war.
Viele Frauen liefen unverschleiert und gaben sich sehr selbstsicher, was sie auch durch ihre Kleidung demonstrierten.
Wir waren unterwegs, um ein Lokal ausfindig zu machen, allerdings nicht, um zu essen oder zu trinken. Uns ging es um eine Frau, die Fatima hieß und zu den besten Bauchtänzerinnen gehören sollte, die Istanbul aufzuweisen hatte.
Sir James hatte uns erklärt, daß Fatima die Spur zum zweiten Teil des Rings war.
Alles andere mußten wir selbst erledigen. Beide hofften wir, daß uns eine Hetzjagd wie zuletzt im Baskenland erspart bleiben würde. Die Altstadt kochte am frühen Abend. Ich sah in verschwitzte Gesichter, tauchte ein in dumpfe Tunnel aus Knoblauchgerüchen, hörte die fremd klingende Musik der einheimischen Folklore, wurde von Schleppern angesprochen, die mir die tollsten Erlebnisse im Harem versprachen oder mich in gewisse Männerclubs und Bäder bringen wollten. Ich winkte nur ab, ging weiter und wußte, daß Suko einen Schritt hinter mir ging und mir gewissermaßen den Rücken freihielt. Auf der Hut waren wir immer, weil wir nicht wußten, ob sich unser Kommen bereits herumgesprochen hatte. Es konnte durchaus sein, daß man bereits auf uns lauerte, denn Sir James hatte von einer weltweiten und gefährlichen Organisation gesprochen, aber nicht erklärt, wer nun tatsächlich dahintersteckte.
An einer Kreuzung blieben wir stehen. Rechts führte eine Gasse bergauf, hin und wieder von breiten Stufen unterbrochen, die als Gehhilfe dienten.
Ein Übergang fiel uns auf. Er war angelegt wie ein Torbogen. Menschen standen dort und schauten in die schluchtartige Tiefe zwischen den Häusern.
»Hier muß es doch irgendwo sein«, murmelte Suko.
»Ja…« Ich ließ meinen Blick wandern. Lokale gab es genug. Jedes bot angeblich
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