Kassandras Fluch
Bewegung, mit der sie uns zuwinkte.
»Alles klar«, sagte ich und machte den Anfang.
»Schnell, schnell!« zischte sie uns entgegen, und wir beeilten uns dementsprechend.
Hastig, als hätte sie vor irgend etwas schreckliche Furcht, schloß sie die Tür und atmete tief durch.
Wir hatten uns schon umgeschaut. Die Garderobe war ein schmaler Schlauch, mehr nicht. Über einem Stuhl hing das Kostüm. Eine nackte Glühbirne warf ihr Licht in die Nähe eines Spiegels, dessen Fläche ziemlich blind aussah. Eine Couch sah ich auch. Der Stoff war verschlissen, ebenso wie der Überzug einiger Kissen. Es gab nur eine Sitzgelegenheit. Der Hocker stand vor dem Spiegel. Nicht einmal eine Rücklehne besaß er. Über der Couch lag auch das Kostüm der Tänzerin. Sie hatte sich umgezogen und trug einen hellen Bademantel, dessen seidig glänzender Stoff den Körper eng umspannte. In der Mitte wurde der Mantel durch eine Kordel gehalten.
Ihr Gesicht war noch nicht abgeschminkt. Schwarze Umrandungen ließen die Augen noch größer erscheinen. Der Mund war zu schmal, erste Fältchen hatten sich gebildet, der Blick glitt unruhig zwischen Suko und mir hin und her.
Fatima war nervös, das sahen wir ihr an. »Ich wußte, daß Sie kommen würden«, sagte sie in einem etwas schlechten Englisch.
»Woher?«
»Ich wußte es. Es konnte nicht immer gutgehen.« Ihr Blick war lauernd.
»Sie wollen ihn haben, nicht wahr? Sie wollen ihn sich holen?«
Ich nickte ihr zu. »Den Stein — ja.«
Sie öffnete den Mund, um Luft zu holen. »Wenn Sie ihn mir nehmen, werde ich sterben. Dann trifft mich ihr Fluch.«
Ich hüstelte. Es roch nach Schminke und Puder. »Wessen Fluch wird Sie treffen?«
Sie ging einen Schritt zurück und stieß gegen den schmalen Schminktisch unter dem Wandspiegel. »Warum fragen Sie mich das? Sind Sie nicht die richtigen?«
»Schon, wir sind gekommen, um den Stein zu holen. Das zweite Drittel, das erste Drittel haben wir bereits. Aber Sie haben mir die Frage noch nicht beantwortet. Wessen Fluch wird uns treffen?«
»Nicht Sie, mich.«
»Also?«
Sie senkte den Kopf und starrte zu Boden. »Ihr Fluch, Kassandras Fluch wird mich töten.«
»Kassandra?« wiederholte ich. Sie nickte.
»Das war eine Figur aus der griechischen Mythologie, der niemand Glauben schenken wollte.«
»So ist es.«
»Was hat es mit dem Ring auf sich oder mit den Steinen, denn die Fassung interessiert uns nicht.«
Fatima schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht genau. Mir ist nur bekannt, daß die Steine gedrittelt wurden und daß es einen tödlichen Zusammenhang gibt. Fragen Sie mich nicht, aber seien Sie versichert, daß ich es nicht überleben werde, wenn Sie den Stein an sich nehmen. Dann ist es vorbei.«
»Dürfen wir ihn sehen?«
Fatima zögerte. Sie hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt gehabt, überlegte noch, hob dabei in einer Geste der Verzweiflung die Schultern und öffnete mit zitternden Fingern den Knoten des Gürtels. Sie bewegte nur einmal kurz ihre Schultern, der Bademantel klaffte auf, und sie stand fast nackt vor uns…
***
Ihre Brüste, nicht mehr gehalten, hingen schwer nach unten. Der Bauch war vorgewölbt, ein muskulöses Gebilde. Sie trug einen schwarzen Slip, auf dem Perlen glitzerten. Im Nabel steckte der Teil des Ringes, der uns interessierte. Dieses grünbeige Stück Stein, ebenso oval geformt wie das des Spaniers Joaquim Spinosa.
»Da sehen Sie ihn!« sagte Fatima.
Obwohl es mir in den Fingern juckte, den Stein an mich zu nehmen, zögerte ich noch und fragte: »Hat niemand versucht, Ihnen den Stein zu stehlen?«
»Nein, das würde niemand wagen.«
»Weshalb nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie spüren, daß ich ihn behalten muß.«
»Nicht mehr lange.«
»Das weiß ich.«
»Und Sie werden sich nicht wehren?« erkundigte ich mich.
»Wie sollte ich, wo ich weiß, daß ich ihn nicht ewig tragen werde? Ich habe nicht das ewige Leben gepachtet.«
Suko und ich schauten uns an. Keiner wußte, was diese Aussage bedeuten sollte. »Könnten Sie uns das erklären?« erkundigte sich Suko.
»Ja, der Stein gibt mir das Leben.«
»Sie werden also sterben, wenn wir ihn lösen?«
»So ist es.«
»Was ist der Grund?«
»Weil ich schon längst hätte tot sein müssen. Ich bin alt, einfach zu alt für diese Welt.«
Ich lachte leise. »So sehen Sie mir aber nicht aus, meine Teuerste. Ich glaube eher, daß Sie uns auf den Arm nehmen wollen.«
»Nie.«
»Beweisen Sic es.«
»Hören Sie meinen Atem?«
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