Kassandras Fluch
sie spürt ihn?«
»Bestimmt.«
Wir redeten nicht mehr weiter, weil Agathe plötzlich heftig atmete. Ihre Brust hob und senkte sich unter dem langen Luftholen und dem Ausstoßen. »Ich spüre…«
»Kannst du sagen, was?« fragte Sir James. »Bitte, versuch es. Das ist wichtig, auch für dich.«
»Ich… ich kenne ihn.«
»Von damals?«
»Sicher, James, von damals. Wir… wir haben ihn unterschätzt, weißt du?«
»Nein, wieso?«
»Er… er ist der Bulgare, der mir den Ring nahm, aber er ist auch ein anderer. In ihm stecken zwei Personen. Es ist nur zu spüren, aber ihr müßt mir glauben. Zwei Personen…« Sie sprach mit schwerer Stimme, als würde sie jedes Wort ungemein anstrengen. »Auch er hat die Jahre überstanden und ist mächtig geworden, erstarkt.«
Sir James runzelte die Stirn. Ich fragte ihn: »Können Sie das begreifen, Sir?«
»Nicht genau.«
»War der Bulgare normal?« wollte Suko wissen. »Oder stand auch er mit finsteren Mächten in Verbindung?«
»Das ist eben das Problem. Eine genaue Antwort kann ich Ihnen nicht geben, aber ich gehe einmal davon aus, daß auch er sich damit eingelassen hat, sonst hätte er nichts über die Funktion des Ringes erfahren können, meine ich.«
»Wenn Sie das so sehen, könnten Sie recht haben.«
»Bestimmt, Suko. Aber sie quält sich. Vielleicht hindert sie etwas daran. Ich weiß nicht, ob wir sie weitermachen lassen sollen.« Sir James zeigte große Sorge wegen seiner Frau.
Und die dachte nicht daran aufzugeben, obwohl sie ihren Oberkörper aufbäumte und das Gesicht verzerrte. Dabei jedoch umklammerte sie den Ring, und ein lauter Ruf drang aus ihrer Kehle. Danach ein schnell gesprochener Kommentar. »Er ist es, ich sehe es deutlich. Er ist es, aber er hat sich in den Dienst eines anderen gestellt. Himmel, über ihm schwebt ein Schatten mit langen Hörnern…«
Wir bekamen eine Gänsehaut, als wir die Worte vernahmen. Diese Aussage konnte nur eine Bedeutung haben.
Der Bulgare hatte sich in den Dienst des Satans gestellt. Und Sir James fragte auch sehr richtig: »Ist es der Teufel, Agathe? Siehst du hinter ihm den Schatten des Satans?«
»J… nein, nicht er.«
»Wer dann?«
»Sehr lange Hörner, ein schreckliches Gesicht, dazu Augen, die unheimlich kalt funkeln und gnadenlos sind.«
Ich hatte die Lösung. »Baphometh!« rief ich.
»Ja!« Die Antwort glich schon einem Schrei, und die Frau schüttelte dabei den Kopf, als hätte jemand einen Kübel mit eiskaltem Wasser über sie geleert. »Es ist Baphometh…«
Hektisch bewegten sich ihre Hände. Sie strich immer wieder über den Ring, als wollte sie ihn aufheizen oder seine restliche Kraft aus ihm hervorlocken.
»Machen Sie weiter!« drängte ich, obgleich Sir James ein gequältes Gesicht machte, weil er ebenfalls unter den Anstrengungen litt, die seine Frau durchmachte.
»Da ist noch was!« stieß sie plötzlich hervor. »Ja, da ist noch etwas Furchtbares.«
»Können Sie es erkennen?«
»Noch nicht, zu schwach.« Sie ließ ihren Ring los, als wäre er glühend geworden. Zwischen ihren gekrümmten Händen war ein Raum entstanden, in dem es plötzlich flimmerte.
Das war eine Erscheinung oder eine Materialisation, wenn mich nicht alles täuschte.
Um mehr sehen zu können, gingen wir vor. Ihre Stimme erwischte uns in der Bewegung.
»Jetzt merke ich es. Nein, es darf nicht wahr sein. Es ist zu grauenhaft. Keiner wird Kassandra glauben, doch ich allein weiß, daß es den Tatsachen entspricht. Er will etwas zerstören, er wird etwas zerstören, was schon lange dagewesen ist.«
»Was denn?« schrie ich.
Die Antwort bekamen wir optisch geliefert, denn in der Lücke zwischen ihren Händen erschien für einen winzigen Moment das Bild einer Kirche. Es leuchtete weißgolden auf, bevor es wieder verschwand. Ich hatte die Kirche dennoch erkannt und erbleichte. Es war der Kölner Dom!
***
Lady Kassandra schlug plötzlich die Hände gegeneinander, bevor sie zusammenzuckte und die Beine anzog, als hätte sie einen Schlag bekommen. Sir James lief sofort zu ihr, während ich mit bleichem Gesicht stehenblieb und von Suko angesprochen wurde.
»Du hast es gesehen?«
»Natürlich.«
»Ich ebenfalls. Hast du es auch erkannt?«
Suko zog die Stirn kraus, ein Zeichen, daß er nachdachte. »Kann es?« fragte er nach einer kurzen Pause, »möglicherweise der Dom in Köln gewesen sein?«
»Ja, es war der Kölner Dom!«
»Muß ich dich fragen, was das zu bedeuten hat? Ich glaube nicht«, gab er sich selbst
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