Kaste der Unsterblichen
war praktisch ausgeschlossen: Die Alphawellen-Muster eines jeden Gehirns waren unverwechselbar.
Seine Gedanken formulierten eine mögliche Erklärung, und fast gleichzeitig damit formte sich der Schatten einer phantastischen Idee – es war ein so großartiger und bizarrer Einfall, daß er ihn zunächst für ein verrücktes und jeder Grundlage entbehrendes Hirngespinst seines Unterbewußtseins hielt …
Aber wenn meine Vermutung in Hinsicht auf die Filmstreifen zutrifft, was stimmt dann nicht mit dieser Idee?
Aufregung erfaßte ihn. Die Details entwickelten sich von ganz allein; innerhalb weniger Augenblicke lag der ganze Plan klar und deutlich vor ihm.
Eine Kornettfanfare heulte durch seine Überlegungen. Das Murmeln der Gespräche verklang, die Lichter verblaßten.
4
Ein Teil der Wand glitt zur Seite und enthüllte eine Bühne mit zugezogenem, schwarzen Vorhang. Ein gutaussehender junger Mann erschien.
»Freunde der Kunst und Gönner der Kreativität! Die bezauberndste Mime aller Zeiten hat sich bereit erklärt, uns heute abend zu unterhalten. Ich spreche natürlich von Der Anastasia de Francourt.
Heute abend führt sie uns hinter die Fassade des Gegenwärtigen und enthüllt das Tatsächliche. Das Programm ist erzwungenermaßen recht kurz, und sie hat mich darum gebeten, die improvisierte Art der Vorstellung zu verzeihen – wozu meiner Ansicht nach keine Ursache besteht. Mitwirken wird der gewissenhafte, aber im wesentlichen ungeschickte Neuling Adrian Boss – Sie sehen ihn gerade vor sich.«
Er verneigte sich und verschwand wieder hinter dem Vorhang. Finsternis breitete sich in der Halle aus.
Der schwarze Vorhang zitterte, der Glanzkegel eines Scheinwerfers glitt darüber hinweg. Aber niemand trat hervor.
Eine in Weiß gekleidete, fragil wirkende Gestalt löste sich aus der schwarzen Kulisse und sah zwinkernd ins Licht. Zögernd trat sie an den Vorhang heran, auf dem der Leuchtkegel des Scheinwerfers klebte, und zog ihn neugierig auseinander. Etwas Großes und Unbestimmtes vollführte einen jähen Satz. Die Pierrette ließ den Vorhang los und sprang zurück. Sie machte sich daran, die Bühne zu verlassen. Der Lichtkegel folgte ihr und fing sie mit seinem grellen Schimmer ein. Sie wandte sich dem Publikum zu. Ihr Gesicht war kreideweiß, die Lippen schwarz. Eine weiße Haube war glatt über ihr Haar gestreift, und an einer daran befestigten dünnen Kordel hing ein schwarzer Pompon. Sie trug eine lose weiße Bluse und eine weite Hose, die vorn mit kleinen schwarzen Pompons verziert war. Ihre Augen waren groß und schwarz, und die wie der Rest des Gesichts weißgefärbten Augenbrauen gaben ihr einen überraschten und fragenden Ausdruck. Sie war zur einen Hälfte Clown und zur anderen Phantom.
Sie wanderte bis ganz zum linken Rand der Bühne, wandte sich dort dem Vorhang zu und wartete, bis sich schließlich ein Teil davon hob und dann zur Seite wich.
So begann die Pantomime. Sie dauerte eine Viertelstunde an und umfaßte drei Abschnitte, die den Triumph plötzlicher Einfälle über wohlgeplante Choreographie deutlich machten und die Klugheit von Torheiten bestätigten. Jede Episode war verblüffend simpel – eine Schlichtheit, die von dem ulkigen Charme der Pierrette verschleiert wurde, ihren herunterhängenden, schwarzen Lippen, ihren großen schwarzen Augen, die mit Tinte gefüllten Muschelschalen glichen. Jeder Abschnitt besaß seinen eigenen Rhythmus und wurde untermalt von einer Aufeinanderfolge verschiedener Akkorde, die beim jeweiligen Höhepunkt der Darstellung verklangen.
Die erste Episode fand in einem Laboratorium der Parfümeriegesellschaft Mocambique statt. Die Pierrette legte sich eine schwarze Gummischürze an und wurde so zu einer Labortechnikerin. Sie machte sich an die Arbeit, mischte Duftlösungen, Aromaöle und Essenzen: Bergamott, Jasmin, Myrte und Lorbeer. Aber sie produzierte damit nur übelriechende Gestankswolken, die durch die Halle wehten. Ärgerlich warf sie die Hände empor und konsultierte dann ein großes Buch. Daraufhin holte sie einen Krug hervor und warf zunächst einen Fischkopf hinein, dann eine Handvoll Rosenblätter. Eine grüne Flamme leckte züngelnd aus dem Behälter. Die Pierrette war entzückt. Wohlüberlegt warf sie auch ihr Taschentuch hinein, und aus dem Krug sprang eine herrliche Fontäne farbsprühender Funken, eine pyrotechnische Wonne – und damit verklangen die Begleitakkorde.
Im zweiten Abschnitt pflegte die Pierrette einen Garten. Der
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