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Kaste der Unsterblichen

Kaste der Unsterblichen

Titel: Kaste der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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melancholischen und pessimistischen Stimmung. Er zog sich langsam an, ging zur Straße hinunter und wanderte im Schatten der Türme nach Süden. Er schritt über den Esterhazyplatz und betrat den am See gelegenen Perlenpavillon. Er wählte einen Tisch, von dem aus er sowohl das Wasser als auch die Promenade überblicken konnte, und bestellte starken Tee in einem schwarzen Glas, Brötchen und Quittenmarmelade.
    Der Platz glänzte im hellen Sonnenschein und war mehr als sonst von Fußgängern frequentiert. Ganz in der Nähe spielte ein Dutzend lärmender Kinder »Wer ist ein Lulk«. Auf einer Bank unter Waylock saßen drei junge Männer wie bei einer Geheimbesprechung beisammen und tauschten obszöne Geschichten aus – Anekdoten, die das Haupttabu von Clarges betrafen: »Habt ihr von dem Pferdedresseur gehört, der sich sein Bein brach? Die Pferde gingen durch und hätten ihn beinah getötet .« Und: »Dieser Assassinenlehrling fuhr den Abholwagen zur falschen Adresse. Es war das Haus, wo Generaldirektor Jarvis selbst wohnte. Sie holten ihn raus und verfrachteten ihn …«
    Waylocks Melancholie verstärkte sich. Die drei jungen Männer auf der Bank unter ihm kicherten über ihre Witze. Waylock beobachtete sie mit einem säuerlichen Grinsen. Er dachte daran, den Kopf übers Geländer zu beugen und zu sagen: »Seht her zu mir! Ich bin ein Ungeheuer. Ich habe gemordet, nicht nur einmal, sondern zweimal. Und ich bin dabei, mir ein Unternehmen zu überlegen, das vielen anderen den Tod bringen könnte.« Sie würden ihn mit offenem Mund und aufgerissenen Augen anstarren, und das liederliche Lachen würde ihnen im Halse steckenbleiben.
    Die Sonne wärmte Waylock, und er begann sich etwas besser zu fühlen. Das schreckliche Ereignis des letzten Abends war zu seiner Rechtfertigung geeignet, wie selbst Die Jacynth eingestehen mußte. Wenn sie damit aufhörte, ihm nachzustellen, dann konnte er den ungeheuerlichen Plan vergessen, der in ihm gereift war. Und doch … die Idee reizte ihn schon um ihrer selbst willen.
    Er griff in seine Tasche und holte Rodenaves Umschlag hervor. Mit einem Betrachter inspizierte er dann den Filmstreifen Der Anastasia.
    Es sollte nicht zu schwierig sein, überlegte er, die sich überlagernden Bilder zu trennen. Dazu war es nur erforderlich, ein auffallendes Kennzeichen zu identifizieren, das einen eindeutigen Rückschluß auf eine der sich überlagernden Datenkarten zuließ. Diese konnte dann mit Hilfe photologischer Verfahrensweisen oder der Anwendung von Phasenanalysen nach und nach gelöscht werden, wodurch die zweite Karte klar und deutlich sichtbar werden mußte.
    Er legte den Filmstreifen in den Umschlag zurück und schob diesen wieder in die Tasche. Rodenave war für Die Anastasia ein großes Risiko eingegangen. Wenn deshalb Anklage gegen ihn erhoben wurde, erwartete ihn eine harte Strafe – ganz bestimmt die Entlassung aus seiner derzeitigen Stellung und vielleicht auch der Prangerkäfig. Er hatte das Risiko einmal auf sich genommen, ohne eine Belohnung dafür zu erhalten. Es blieb abzuwarten, ob er es auch noch ein zweites Mal wagen würde, wenn er dadurch einen höheren Gewinn in Aussicht hatte.
    Er blickte über den im Sonnenschein liegenden Platz, wo sich Kinder mit Spielen auf ihre Zukunft vorbereiteten, wo Männer und Frauen eiligen Schrittes auf den Aktuarius zugingen und mit hängenden Schultern und trüben Augen zurückkehrten. Er nahm seine Zeitung zur Hand. Das Bild Der Anastasia starrte ihm von der ersten Seite entgegen, ein Gesicht so fragil und fein wie das einer Nymphe: Ihr Dahinscheiden machte Schlagzeilen. Es war der Clarino , den er in Händen hielt, das Sprachrohr Des Abels.
    Waylock überflog die anderen Nachrichten des Tages. Ein Lulk-Millionär hatte versucht, sich mit der Hälfte seines Vermögens in die Amarant-Gesellschaft einzukaufen, und war scharf zurückgewiesen worden. Es gab einen Artikel über das Palliatorium Balliasse, der von dem neuen Direktor, Unterweiser Leon Gradella, verfaßt worden war. Die Liga für Öffentliche Moral und Sittenreinheit empörte sich über die Unterhaltungsangebote in Kharnevall, die sie als »anstößige Entspannungsspiele« bezeichnete, bei denen lebende Tiere eine »ekelerregende Behandlung« durch die »Hände von Perversen« erlebten.
    Waylock gähnte und ließ die Zeitung sinken. Ein seltsames Paar kam die Promenade herunter: ein ernster, hochgewachsener junger Mann und eine ebenso große Frau mit glattem rotem Haar und einem

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