Kaste der Unsterblichen
sehr einsam sein.«
»Ich habe meine Arbeit. Ich habe meine Skulpturen. Und ich habe Musik. Ich habe Sie heute abend beobachtet. Ich war überrascht. Denn bisher glaubte ich, nur in der Musik jene Ausdrucksstärke und Feinheit zu finden, die …«
»Das ist nicht weiter verwunderlich. Meine Tätigkeit ist der Musik sehr ähnlich. Sowohl Musiker als auch Mimen verwenden Symbole, die aus der Wirklichkeit abstrahiert werden.«
Biebursson nickte. »Das ist mir völlig klar.«
Die Anastasia beugte sich nahe zu Biebursson vor und sah ihm in die Augen. »Sie sind ein sonderbarer Mann, ein großartiger Mann. Warum sind Sie zu mir gekommen?«
»Ich bin hier, um Sie zu bitten, mit mir zu kommen«, erwiderte Biebursson mit vornehmer Unkompliziertheit. »Hinaus ins All. Die Star Enterprise wird derzeit mit Vorräten und Treibstoff ausgerüstet. Wir werden bald nach Acharnar starten. Es wäre mein Wunsch, daß Sie mich begleiten und mit mir zusammen inmitten der samtschwarzen und von funkelnden Sternen durchsetzten Pracht des Weltraums leben.«
Die Anastasia lächelte gezwungen. »Ich bin so feige wie alle anderen auch.«
»Das kann ich kaum glauben.«
»Es ist wahr.« Sie stand vor ihm, die Hände auf seinen Schultern. »Ich könnte meine Surrogate nicht verlassen, denn dadurch würde die mentalempathische Verbindung unterbrochen. Unsere Identitäten entwickelten sich auseinander. Es gäbe keine Ichübereinstimmung mehr, keine Kontinuität. Und sie mitzunehmen würde ich auch nicht wagen – das Risiko einer totalen Auslöschung ist zu groß. Somit …« – sie hob müde die Hand – »… bin ich ein Gefangener meiner eigenen Freiheit.«
Hinter ihnen ertönte ein Rasseln, dann lange Schritte und eine rauhe Stimme.
»Ich muß sagen, das ist wirklich eine nette Szene.«
Der Abel Mandeville stand im Eingang und warf glühende Blicke durch den Raum. Er trat vor. »Mit dieser bärtigen Vogelscheuche herummachen … ihn umarmen!«
Die Anastasia war verärgert. »Abel, jetzt treibst du es wirklich auf die Spitze!«
»Pah! Meine Unverblümtheit ist weniger ekelerregend als deine Nymphomanie.«
Biebursson erhob sich aus dem Sessel. »Es tut mir leid, daß ich Ihren Abend mit einem Streit verdorben habe«, sagte er bekümmert.
Mandeville lachte kurz und bissig auf. »Blasen Sie sich bloß nicht so auf. Weder Sie noch irgendein anderer Ihres Geschlechts können mir den Abend verderben.«
Eine dritte männliche Stimme meldete sich zu Wort. Rodenave sah durch die Tür. »Kann ich Sie kurz sprechen, Anastasia?«
»Noch einer?« fragte Der Abel.
Vincent Rodenave versteifte sich. Sein scharfgeschnittenes Gesicht verzerrte sich. »Sie beleidigen mich, mein Herr.«
»Spielt keine Rolle. Was wollen Sie hier?«
»Ich wüßte nicht, was Sie das angeht.«
Der Abel trat auf ihn zu. Vincent Rodenave, nur halb so schwer wie er, behauptete tapfer seine Stellung. Die Anastasia sprang zwischen die beiden. »Hört auf, ihr Streithähne! Würdest du jetzt bitte gehen, Abel?«
Der Abel war ganz außer sich. »Ich soll gehen? Ich?«
»Ja.«
»Gut. Aber nach diesen beiden. Ich will mit dir reden.« Er deutete auf Rodenave und Biebursson. »Verschwinden Sie, Sie Kümmerling. Und auch Sie, Raumfahrer!«
»Raus mit euch allen!« schrie Die Anastasia. »Geht mir aus den Augen!«
Reinhold Biebursson verneigte sich mit einer Art von trostloser Grazie und ging.
Vincent Rodenave runzelte die Stirn. »Vielleicht kann ich Sie später sprechen? Ich muß Ihnen etwas erklären …«
Die Anastasia kam auf ihn zu, und auf ihrem Gesicht lag ein verzerrter Ausdruck. »Nicht heute abend, Vincent. Ich sehne mich wirklich nach ein bißchen Ruhe.«
Rodenave zögerte und zog sich dann widerstrebend zurück.
Die Anastasia drehte sich zu Dem Abel Mandeville um. »Und du auch, Abel, bitte. Ich muß mich umziehen.«
Der Abel stand da wie ein Bollwerk. »Ich will mit dir reden.«
»Ich aber nicht mir dir!« Ihre Stimme klang plötzlich verächtlich. »Verstehst du mich, Abel? Ich bin fertig mit dir – vollständig und unwiderruflich. Und jetzt – verschwinde!«
Die Anastasia wirbelte auf den Absätzen herum, trat an ihren Frisiertisch und wischte sich die letzten Reste des Make-ups aus dem Gesicht.
Hinter ihr näherten sich schwere Schritte. Ein Keuchen ertönte in dem Zimmer, ein Ächzen, dann ein stetes Tropfen, das kurz darauf aufhörte.
ZWÖLF
1
Der Tag nach der Ausstellung war ein Sonntag. Als Waylock erwachte, war er in einer
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