Kaste der Unsterblichen
der Fall war. Sechs hohe Türme wuchsen auf dem Dach, und jeder wies eine in sich gewundene Zinne aus Buntglas auf. Balkone schwangen sich zwischen den Kuppeln, und die langgestreckte Veranda war gesäumt von gußeisernen Arabesken. Ein Tor versperrte den einzigen Zugang vom Landeplatz zum Haus, und dieses Tor wurde von einem Wächter kontrolliert.
Waylock stieg aus dem Lufttaxi, und der Wächter erhob sich. Er musterte Waylock mit beruflich induzierter Feindseligkeit. »Sie wünschen, mein Herr?«
Waylock nannte seinen Namen. Der Torwächter sah daraufhin in einer Liste nach und gewährte ihm Zugang zum Palais.
Waylock schritt über die Terrasse. Ein Diener öffnete das annähernd vier Meter breite Portal, und Waylock betrat die Empfangshalle. Im exakten Mittelpunkt des Saales, direkt unter einem riesigen und uralten Kronleuchter, stand Rolf Aversham.
»Guten Morgen, Herr Waylock.«
Waylock gab einen höflichen Gruß von sich, auf den Aversham mit einem knappen Nicken antwortete. »Ich muß Sie davon unterrichten«, sagte er, »daß der Kanzler nicht nur sehr beschäftigt, sondern darüber hinaus auch unpäßlich ist.«
»Wie bedauerlich. Ich werde daran denken, ihm gegenüber mein Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen.«
»Wie Sie vielleicht wissen, bin ich Vizekanzler. Sie könnten daher Ihre Angelegenheit auch mir vortragen.«
»Ich weiß, daß Sie sehr fähig sind und sich als überaus hilfreich und tüchtig erweisen würden. Aber ich möchte auf jeden Fall mit meinem Freund Kanzler Imish zusammentreffen.«
Aversham preßte die Lippen aufeinander. »Hier entlang, bitte.«
Er geleitete Waylock durch eine gitterförmig verzierte Tür und dann einen stillen Korridor entlang. Ein Lift brachte sie in den oberen Stock. Hier führte Aversham Waylock in ein kleines Nebenzimmer. Er blickte auf seine Uhr, wartete eindrucksvolle dreißig Sekunden und klopfte dann an die Tür.
»Herein«, erklang Imishs gedämpfte Stimme.
Aversham schob die Tür auf und trat zur Seite. Waylock schritt ins Zimmer. Kanzler Imish saß an einem Schreibtisch und blätterte gleichgültig durch einen alten Folianten. »Hallo«, sagte Waylock, »wie geht’s Ihnen?«
»Einigermaßen, danke«, erwiderte Imish.
Aversham nahm auf der anderen Seite des Zimmers Platz. Waylock beachtete ihn nicht.
Kanzler Imish schloß den Folianten, lehnte sich zurück und wartete darauf, daß Waylock seine Angelegenheit zur Sprache brachte. Er trug eine weite Jacke aus kanarischem Leinen – ganz gewiß nicht die, in der die Filmstreifen verborgen waren.
»Kanzler«, begann Waylock, »ich bin heute nicht als persönlicher Bekannter hierhergekommen, sondern vielmehr als Bürger von Clarges – als ein ganz gewöhnlicher Mann, der hinreichend besorgt ist, um für diesen Besuch kostbare Steigungseifer-Zeit zu erübrigen.«
Imish lehnte sich in seinem Sessel vor und runzelte unbehaglich die Stirn. »Wo liegt das Problem?«
»Es geht um eine Sache, über die ich nicht vollständig Bescheid weiß. Es könnte sich sehr wohl um eine Bedrohung handeln.«
»Was soll das heißen?«
Waylock zögerte. »Ich nehme an, Sie können Ihren Untergebenen unbedingt vertrauen? Sind sie absolut verschwiegen?« Er sah mit voller Absicht nicht zu Aversham hinüber. »Es könnte sich eine Situation ergeben, in der ein falsches Wort, ein Blick, selbst ein bezeichnendes Schweigen ernste Konsequenzen nach sich zieht.«
»Das hört sich ganz und gar unsinnig an«, sagte Imish.
Waylock zuckte mit den Achseln. »Wahrscheinlich haben Sie recht.« Dann lachte er. »Ich verliere kein Wort mehr darüber – bis etwas geschieht, das meinen Verdacht untermauert.«
»Das wäre bestimmt am besten.«
Waylock entspannte sich und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Es tut mir leid, daß Ihr Besuch im Aktuarius ein so unglückliches Ende genommen hat. In gewisser Weise fühle ich mich dafür verantwortlich.«
»Wieso?«
In den Augen des in der Ecke sitzenden Aversham funkelte es interessiert auf.
»Schließlich war ich es, der Ihnen diesen Besuch nahelegte.«
Imish rutschte unruhig hin und her. »Machen Sie sich darüber keine Sorgen.« Er zögerte. »Es war eine peinliche Situation.«
»Dieses Palais ist ein prächtiges und interessantes Bauwerk. Aber finden Sie es nicht ein wenig … nun, bedrückend?«
»Sehr sogar. Freiwillig würde ich hier nicht wohnen – aber man verlangt es von mir.«
»Wie alt ist dieses Gebäude?«
»Es wurde einige Jahrhunderte vor dem Chaos
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