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Kaste der Unsterblichen

Kaste der Unsterblichen

Titel: Kaste der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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Stunde verstrich. Dann ertönte das Quietschen von Flaschenzügen, und der Käfig schwang über den Platz.
    Waylock hatte sich halb von seinem Sitz erhoben und erstarrte. Im Innern des Käfigs hockte Vincent Rodenave, und sein Blick schien über den Platz zu lodern, sich in die Schatten des Cafés Dalmatia zu brennen, direkt in Waylocks Gedanken.

 
VIERZEHN
     
1
     
    Gegen Mitternacht waren die Straßen von Clarges still und düster, und man konnte nur das diffuse Summen der unterirdischen Röhrenbahnen vernehmen. Nur wenige Leute hielten sich zu dieser Stunde im Freien auf. Absolventen der beruflichen Fortbildungskurse waren nach Hause zurückgekehrt, um sich in Lehrbücher zu vertiefen und sich mit einem theoretischen Fundament auf ihre neuen Aufgabenbereiche vorzubereiten. Bis auf die Kabaretts und Theater, die hauptsächlich von Lulks frequentiert wurden, hielt sich das Nachtleben von Clarges in engen Grenzen. Jene, die Entspannung und Unterhaltung suchten, waren auf die andere Seite des Flusses gewechselt und nach Kharnevall gegangen.
    Der an den Aktuarius angrenzende Esterhazyplatz war leer und erstreckte sich einer schwarzen Wüste gleich in die Nacht. Um diese Stunde waren normalerweise fast alle Plätze im Café Dalmatia frei und nur einige wenige düstere Gestalten an den Tischen zu finden – ein Angestellter beim Aktuarius, der seine Spätschicht hinter sich hatte, ein Assassine nach der Erledigung seines Auftrags, jemand, der sich über den Verlauf seiner Lebenslinie Sorgen machte und keine Ruhe finden konnte, hier und dort ein Liebespärchen. Heute aber waren alle Tische besetzt von Gästen, die ihre Gesichter dem dunklen Platz zuwandten.
    Ein leichter Nebel war vom Fluß her heraufgezogen und trübte das Licht der Straßenlampen. Der Prangerkäfig hing gleich einem rostigen Artefakt der Vorzeit an der Vorderfront des Aktuarius, und der Mann im Innern rührte sich nicht und brütete wie ein alter, eiserner Wetterhahn.
    Ein fernes, traurig klingendes Pfeifen aus der Richtung des Melodienstroms zeigte Mitternacht an. Der Prangerkäfig kam mit einem Rasseln herab. Er berührte den Boden, klappte auf, und Vincent Rodenave stand frei auf dem Pflaster.
    Er beobachtete die Schatten des Esterhazyplatzes und lauschte. In dem Dunkel schien es zu knistern und zu rascheln. Er machte einen zögernden Schritt nach rechts. Ein Stein flog aus der Düsternis heran und traf ihn an der Seite. Breitbeinig trat er zurück und hob die Arme. Vom Park her ertönte ein gedämpfter, heiserer Schrei; das war ein einmaliger Vorgang, denn bisher hatten die Schicksalsverrückten immer eisernes Schweigen bewahrt. Rodenave bemerkte den gesteigerten Enthusiasmus seiner verborgenen Widersacher und entschied sich zu einer raschen Flucht. Er stürzte auf das Café zu. Meteoren gleich prasselte eine Salve aus großen Steinen aus dem Dunkel herab. Die Schicksalsverrückten waren heute in einer besonders wütenden und zornigen Stimmung.
    Ein Schatten glitt an ihn heran, ein dunkles, ihm entgegenfallendes Objekt – ein unbeleuchteter Luftwagen. Das Fahrzeug landete, und die Tür schwang auf. Rodenave stolperte in die Kabine, und der Wagen startete wieder. Steine hagelten gegen die Hülle, dunkle Gestalten lösten sich aus den Schatten, hasteten auf den Platz und starrten gen Himmel. Dann wandten sie sich um und musterten sich mit wachsamen Blicken, denn niemals zuvor hatten sich Schicksalsverrückte aus ihrer Deckung herausgewagt. Sie knurrten und brummten, verschmolzen erneut mit der Finsternis – und der Platz war wieder leer.
     
2
     
    Rodenave kauerte in sich zusammengesunken auf seinem Sitz, und seine Augen waren wie zwei trübe Glasmurmeln. Er hatte einige wenige heisere Worte von sich gegeben und war dann in ein tiefes Schweigen versunken.
    Waylock parkte den Luftwagen und nahm Rodenave mit hinauf in seine Wohnung. Rodenave blieb zögernd im Eingang stehen, sah sich im Zimmer um, wankte dann auf einen Sessel zu und ließ sich nieder. »Nun«, krächzte er, »hier bin ich also. Entehrt. Verstoßen. In Ungnade gefallen.« Er sah zu Waylock auf. »Ich stelle fest, Sie schweigen. Hat die Scham Ihnen die Sprache verschlagen?«
    Waylock gab keine Antwort.
    »Sie haben mich gerettet«, grübelte Rodenave, »mir damit aber keinen Gefallen getan. Wo soll ich nun Karrierepunkte sammeln? Ich werde als Dritte den Terminator erreichen. Damit ist mein Schicksal besiegelt.«
    »Meines ebenso«, sagte Waylock.
    »Wo liegt für Sie der Schaden?«

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