Kastner, Erich
Männer blickten das Mädchen sprachlos an.
Sie lachte. »Das zählte er alles auf und sagte, ich müsse es mir gut merken. Denn Sie würden mich danach fragen. Ich fand das sehr komisch. Er war überhaupt sehr lustig. Und hübsch. Ein Bild von einem Mann!« Sie ging zur Tür. »Doch das hat er mir nicht für Sie aufgetragen.« Sie machte einen Knicks und wollte gehen.
»Halt-!« rief Professor Horn. »Fuhr der Herr im Taxi weg?«
»Nein«, erwiderte sie. »Er hatte einen Privatwagen. Und weggefahren ist er, glaub’ ich, auch noch nicht. Vor einer Minute saß er jedenfalls noch in seinem Auto drunten vorm Hotel und trank eine Fleischbrühe mit Ei.«
Sie machte einen Knicks und ging.
Wenige Stunden später befanden sich Irene Trübner und Fleischermeister Külz in Rostock und sprachen mit einem Kriminalkommissar, der ihnen todmüde und unrasiert gegenübersaß. Vor ihm stand eine dampfende Tasse Kaffee.
Er trank in kleinen Schlucken und sagte: »Ich muß Sie um Entschuldigung bitten, daß ich so unkomfortabel aussehe. Aber ich habe kaum eine Stunde geschlafen. Noch dazu auf diesem elenden Sofa!
Vorher und nachher hatte ich mit dem bedauerlichen Diebstahl zu tun, der Sie betroffen hat. Es galt zahlreiche Anordnungen zu treffen, damit derjenige, der die Gattin Heinrichs VIII. geraubt hat, uns nicht entwischt. Ist es nicht gräßlich? Nicht einmal gemalte Frauen sind vor Liebhabern sicher!« Er lachte. Anschließend gähnte er herzzerreißend. Dann zuckte er, einigermaßen verlegen, die Achseln und trank wieder Kaffee.
»Prost!« sagte Herr Külz. »Gibt es etwas Neues, Herr Kommissar?«
»Noch nicht«, meinte der Beamte. »Aber was in der kurzen Zeit getan werden konnte, wurde getan. Das Netz zieht sich unaufhaltsam zusammen. Der Fischzug steht sozusagen vor der Tür.«
»Hoffentlich fangen Sie keinen alten Stiefel!« sagte Herr Külz.
»Bestimmt nicht. Ich habe Berlin ersucht, Herrn Rudolf Struve aus der Holtzendorffstraße zu verhaften.«
Irene Trübner senkte rasch den Kopf und strich mit zitternden Fingern ihren Kostümrock glatt.
Oskar Külz war wesentlich weitschweifiger. »Erlauben Sie mal!«
knurrte er. »Das ist ja allerhand. Eine Bande von ausgekochten Strolchen klaut eine Miniatur, die eine halbe Million gekostet hat.
Und weil sich ein braver junger Mann zur Wehr setzt, nimmt man den auch gleich mit. Bitte, so was kann vorkommen. Aber daß dann die Polizei den jungen Mann verhaften will, statt die Räuberbande festzunehmen, das ist neu! Mir ist es zu apart, das muß ich Ihnen ganz offen sagen!«
Der Kommissar hob die Hand. »Nicht so hitzig, lieber Herr Külz!
Ich habe meine eigene Theorie. Es wird sich zeigen, ob sie stimmt.«
»Was ist eine Theorie?« Külz wandte sich mit der Frage an Fräulein Trübner.
Sie antwortete: »Wenn das, was man tun muß, sehr schwierig ist, macht man einen Plan, der die Schwierigkeiten vorübergehend beseitigt.«
»Und das ist dann eine Theorie?«
»Jawohl!«
»Aha«, brummte Külz. »Das kenne ich schon lange. Ich wußte nur noch nicht, wie es heißt. Meine Frau ist in Theorien sehr groß.
Ich bezeichne so was schlicht als ›faule Ausreden‹. – Kinder, bin ich froh, daß Struve nicht zu Hause ist! Von Gaunern geraubt und au
ßerdem auch noch von der Polizei verhaftet werden, das ist ein bißchen viel für den einzelnen.«
Der Kommissar war nicht aus der Ruhe zu bringen. »Irren ist menschlich. Doch glaube ich kaum, daß ich mich irre.«
»Sie tun dem jungen Mann unrecht!« rief Külz. »Ich bin zwar ein ziemlich ungebildeter Mensch, der nicht einmal weiß, was eine Theorie ist. Aber wenn ich jemanden für einen anständigen Kerl halte, dann ist er das auch!«
»Lieber Herr Külz«, entgegnete der Kommissar höflich, aber zurechtweisend, »ich muß Ihr Gedächtnis auffrischen. Ich kenne aus dem Protokoll einen Herrn, der viele Stunden lang in einem Eisenbahncoupé mit einer Verbrecherbande zusammensaß und jeden einzelnen dieser Strolche für einen Ehrenmann hielt.«
Der alte Fleischermeister bekam es mit dem Husten. Als er endlich wieder reden konnte, meinte er: »Sie haben recht, so leid es mir tut. Trotzdem möchte ich schwören, daß Sie sich irren.
Schließlich war es ja Herr Struve, der mich darauf aufmerksam machte, daß es sich um Gauner handelte.«
Der Kommissar winkte ab. »Das tat er doch nur, damit Fräulein Trübner und Sie ihn für um so anständiger hielten! Außerdem wollte er in Ihrer Nähe bleiben, um der Bande bei dem
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