Kastner, Erich
Diebstahl zuvorzukommen. Na, und das ist ihm ja schließlich gelungen.«
Oskar Külz schüttelte böse den Kopf. »Sie irren sich, obwohl alles, was Sie sagen, stimmen könnte.«
Der Kommissar meinte geduldig: »Man muß es abwarten. Und jetzt möchte ich dem gnädigen Fräulein einige Fragen vorlegen.
Zunächst: wo lernten Sie Herrn Struve kennen?«
»In Kopenhagen.«
»Bei gemeinsamen Bekannten?«
»Nein, Herr Kommissar.« – »Sondern?«
Sie sagte zögernd: »Auf der Straße.«
»Könnten Sie den Vorgang etwas ausführlicher schildern?«
»Ich wollte mir«, erzählte sie, »kurz vor der Abreise ein Paar Schuhe kaufen, die ich am Tage vorher in einem Schaufenster, irgendwo zwischen dem Nytorv und dem Radhusplads gesehen hatte.
Ich ging durch die Straßen und suchte das Schaufenster. Plötzlich rief jemand meinen Vornamen. Ich drehte mich um. Es war Herr Struve.«
»Woher wußte er Ihren Vornamen?« fragte der Kommissar. »Ich denke, Sie kannten einander überhaupt nicht!«
»Herr Struve sagte, ich habe seiner Cousine aus Leipzig so sehr geähnelt, daß er gedacht habe, sie sei es.«
Der Kommissar schmunzelte ironisch. »Mein gnädiges Fräulein, was zuviel ist, ist zuviel. Ob Sie Herrn Struve diese Lüge geglaubt haben, weiß ich nicht. Ich glaube sie jedenfalls nicht! Unter gar keinen Umständen! Es ist denkbar, daß Sie seiner Cousine ähneln. Es ist vorstellbar, daß Sie den gleichen Vornamen wie eine junge Dame in Leipzig haben. Aber daß sie einander ähnlich sehen und auch noch genauso heißen – verzeihen Sie, das ist ein starkes Stück!« Der Kommissar blickte Herrn Külz spöttisch an. »Was halten Sie davon?«
Papa Külz zuckte die Achseln. »Es klingt ziemlich komisch. Das muß ich zugeben.«
Der Kommissar wandte sich wieder an Irene Trübner. »Was geschah dann?«
»Dann fand ich endlich das Schuhgeschäft. Ich ging hinein und probierte Schuhe. Mit einem Male war Herr Struve wieder da. Er nahm sogar das Schuhpaket an sich, als ich den Laden verließ. Auf der Straße forderte ich ihn auf, seiner Wege zu gehen.«
»Und dann?«
»Dann ging er seiner Wege«, entgegnete sie.
»Wann trafen Sie ihn wieder?«
»Am nächsten Mittag. Im Schnellzug. Er kam in mein Abteil, setzte sich mir gegenüber und fragte, ob wir uns wieder vertragen wollten.«
Der Kommissar trank die Tasse leer und setzte sie umständlich auf die Untertasse zurück. »Es ist alles sonnenklar«, meinte er. »Nur eins will mir nicht in den Schädel. Daß Sie nämlich trotz dieser Vorgeschichte noch immer daran zweifeln, daß dieser Herr Struve mit dem Raub der Miniatur in engster Verbindung steht! Es liegt doch auf der flachen Hand!«
Oskar Külz sagte: »Es soll schon einmal vorgekommen sein, daß der Schein getrogen hat.«
»Gewiß«, gab der Beamte zu. »Einmal soll es schon vorgekommen sein. Aber nur einmal! Und das ist schon lange her. Jedenfalls ist es mir lieber, versehentlich ein kleines Unrecht zu begehen, als wissentlich ein großes zu dulden.«
»Mir ist die Sache zu hoch«, stellte Papa Külz fest. »Noch vor einer Woche dachte ich, Wurstmachen sei der gräßlichste Beruf auf der Welt. Ich glaube aber, Verbrecher haschen zu müssen, ist noch schrecklicher.«
»Ein wahres Wort!« bemerkte der Kommissar. Er erhob sich. »Ich möchte Sie bitten, mit dem nächsten Zug nach Berlin zu fahren und sich dem dortigen Polizeipräsidium zur Verfügung zu stellen.«
»Am Alex?« fragte Külz.
»Ganz recht. Am Alexanderplatz. Den Behörden und der von Herrn Steinhövel ausgesetzten hohen Belohnung wird es sicher bald gelingen, die Miniatur und deren Dieb herbeizuschaffen.«
Er brachte die beiden zur Tür. Gerade als er sie öffnen wollte, läutete das Telefon. Er ging rasch zum Schreibtisch, nahm den Hörer ab und meldete sich. Nach wenigen Sekunden des Zuhörens meinte er:
»Danke schön, Herr Kollege!« und legte den Hörer auf die Gabel zurück.
Irene Trübner und Herr Külz warteten an der Tür. Der Kommissar sagte: »Ich erfahre soeben, daß Herr Rudolf Struve in seiner Berliner Wohnung in der Holtzendorffstraße verhaftet worden ist. Ich darf mich empfehlen.«
14. KAPITEL
HERRN STRUVES SONDERBARE VERNEHMUNG
Ein mit ungefähr zwei Dutzend Männern beladener Autobus ratterte nun schon seit Stunden über mecklenburgische Chausseen. Erst war er südwestlich gefahren. Bis nach Schwerin hinein. Dann war er plötzlich nach Osten abgebogen und hatte, nach langer Reise, Neustrelitz passiert.
Die Fahrgäste waren
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