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Kastner, Erich

Kastner, Erich

Titel: Kastner, Erich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die verschwundene Miniatur
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seltsam herausgeputzt. Sie trugen Pappnasen und martialische, falsche Barte im Gesicht. Auf den Köpfen hatten sie papierne Ballonmützen und Turbane. Und in den Händen hielten sie Pritschen und Luftballons. Der Mann neben dem Chauffeur blies auf einer blechernen Kindertrompete. Auf den Wänden des Wagens stand mit weißer Kreide, daß es sich um den »Rostocker Skatklub 1896, E.V.«handle. Die Insassen schwenkten ihre Ballons, gröhlten Wanderlieder, lachten ausgelassen und riefen den Frauen und Kindern, die erstaunt am Wege standen, handfeste Bemerkungen zu.
    Nun, solche Vereinsausflüge sind ja nichts Außergewöhnliches.
    Auffällig war allenfalls, daß der Lärm und die Heiterkeit jedesmal, wenn die letzten Häuser einer Ortschaft verschwunden waren, wie abgehackt abbrachen. Die Insassen des Autobusses schwiegen dann, schauten unfreundlich drein und dösten im Halbschlaf vor sich hin.
    Wollten sie den Frieden der Wälder und Wiesen nicht stören? Bezwangen sie ihre Lustigkeit, um das Wild nicht aufzuscheuchen?
    Es lag anders. Den Fahrgästen machte es nicht das mindeste Vergnügen, vergnügt zu sein! Auf den stillen Landstraßen fiel die Fidelität von ihnen ab, und sie bekamen bös verkniffene Mienen.
    Der Mann, der wie ein Ringkämpfer aussah, meinte zu Philipp Achtel: »Du kannst getrost deine Pappnase einsparen. Deine echte Nase sieht schon künstlich genug aus.«
    Herr Achtel erwiderte: »Mir ist es heute lieber, die Polizei hält mich für einen Skatbruder aus Rostock als für einen Stammgast von Plötzensee.«
    »Wenn nur die Bänke nicht so hart wären!« knurrte Storm. »Da kann man sich ja eine Blinddarmentzündung holen!«
    »Nimm dir ein Beispiel an uns«, sagte Karsten, »und setz dich nicht ausgerechnet auf den Blinddarm!«
    Hinter dem Chauffeur, auch einem Vereinsmitglied, saß Herr Professor Horn. Er hatte keinen Bart mehr, war blitzblank rasiert, blickte oft auf eine Landkarte, die auf seinen Knien lag, und orientierte sich.
    Mit einem Male rief er: »Achtung, wir kommen in ein Dorf! Ich möchte mir ausbitten, daß ihr diesmal lustiger seid! In Neustrelitz habt ihr euch benommen, als ob ihr von einer Beerdigung kämt.«
    Die Skatbrüder schoben die Pappnasen und Barte zurecht, räusperten sich gründlich und sangen auf Storms Anraten: »Wohlauf, die Luft geht frisch und rein. Wer lange sitzt, muß rosten!« Der Hinweis auf das »Lange Sitzen« irritierte Herrn Achtel so sehr, daß er falsch sang.
    Das Dorf war erreicht. Die Einwohner blieben neugierig stehen.
    Die Kinder hüpften neben dem Autobus her und wollten Luftballons ergattern. Und die maskierten Zuchthäusler schmetterten ihre Lieder in die Sommerluft, daß es eine Art hatte.
    Da stoppte der Chauffeur. Die Fahrgäste purzelten gegen-und durcheinander.
    »Was gibt’s?« fragte der Chef.
    »Unser junger Mann tankt!«
    Die Insassen waren plötzlich still geworden.
    »Wollt ihr Kerls auf der Stelle lustig sein?« brummte Professor Horn drohend.
    Die andern wurden sofort wieder laut und fidel. Um den haltenden Autobus versammelten sich Knechte, Mägde und Schulkinder.
    Es entspann sich ein turbulentes Treiben. Bauersleute blickten neugierig aus den Fenstern ihrer Häuser. Ein Ochsenkarren schob sich an dem Autobus vorbei. Der eine Ochse wollte nicht weiter. Ein paar Luftballons stiegen hoch. Die Kinder jauchzten und balgten sich vor Wonne. Die Szene glich einem Volksfest.
    »Chef!« sagte der kleine Herr Storm. »Warum sitzt der Bursche nicht im Auto?«
    »Paulig soll nachsehen, was los ist!« befahl Horn.
    Der Chauffeur kletterte von dem Bus herunter und begab sich zu der Tankstelle, um vorsichtig Erkundigungen einzuziehen.
    Die anderen waren nervös, und während sie mit der dörflichen Bevölkerung scherzten, gingen ihnen etliche Fragen nicht aus dem Kopf. Wo war der junge Mann, den sie verfolgten? Hatte er eine Panne? Warum kehrte er, wenn er ausgestiegen war, nicht wieder?
    Was, zum Teufel, sollte der Zwischenfall bedeuten?
    Endlich kam Paulig, der Chauffeur, zurück. Er kletterte eilig auf seinen Platz, gab Gas und fuhr drauflos. Währenddem erklärte er hastig: »Der Wagen war geliehen. Hier hat ihn der junge Mann gegen einen andren Wagen umgetauscht. In Gransee wechselt er noch einmal. Das ist auf dieser Strecke mit Leihautos so üblich.«
    »Und in Berlin?« fragte Professor Horn.
    »In Berlin muß er das Granseer Auto bei Kienast abliefern«, erklärte der Chauffeur. »Das ist eine Garage am Stettiner Bahnhof.«
    Professor Horn

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