Kastner, Erich
euch hätte sie sich denn vergaffen sollen?«
»Keine Ahnung«, meinte Karsten. »Und wo ist der Junge jetzt?«
Der Chef zündete eine Zigarette an und paffte nachdenklich vor sich hin. »Unterwegs nach Berlin, schätz ich! Er weiß natürlich, daß Steinhövels Sekretärin sein Verschwinden der Polizei gemeldet hat.
Nach Kopenhagen kann er also nicht wieder zurück. Die andren Grenzstellen sind auch schon informiert.«
»Ihm geht’s genau wie uns.«
»Wir müssen sofort aufbrechen. Irgendwo werden wir ihn schon aufstöbern. Und wenn ich die Straßen nach Berlin mit der Lupe absuchen sollte!«
»Ich möchte einen Vorschlag machen«, erklärte Karsten.
»Und zwar?«
»Wir wollen den Jungen laufen lassen.«
»Und den Holbein?«
»Den auch!«
»Bist du übergeschnappt?«
»Nein«, behauptete Karsten. »Soll die Polizei den Holbein finden und den Dieb dazu! Wozu willst du deine Finger in eine Mausefalle stecken?«
»Das kommt gar nicht in Frage!« rief Professor Horn. »Ich lasse mir nicht von irgendeinem Amateur auf der Nase herumtanzen! Das wäre ja noch schöner!«
»Vielleicht ist er gar kein Amateur. Vielleicht gehört er zur Konkurrenz!«
»Meinetwegen! Und wenn er Cagliostro persönlich wäre – ich will den Holbein haben. Erst läßt man uns ein Falsifikat klauen!
Dann stiehlt uns ein Grünschnabel das Original vor der Nase weg!
Das geht zu weit! Damit basta!«
»Bitte sehr.«
»Wir verlassen Rostock in wenigen Minuten. Draußen wird’s schon wieder hell. Von Neustrelitz aus telefonieren wir mit Berlin und signalisieren ihn. Graumann mag uns mit seinen Leuten entgegenkommen. Und dann zerquetschen wir den Adonis! Nur die Miniatur muß ganz bleiben. Du erinnerst dich doch, wie der Jüngling aussah?«
»Ungefähr.«
»Notiere es! Damit Graumann und seine Leute den Richtigen erwischen.«
Da klopfte es an der Tür.
Die beiden zuckten zusammen. Besuche im Morgengrauen bedeuten, wenn sie zweifelhaften Ehrenmännern gelten, selten etwas Gutes. Professor Horn griff in die Tasche, in welcher der Revolver steckte, und rief: »Wer ist da?«
»Das Zimmermädchen«, antwortete es draußen auf dem Korridor.
»Ich brauche Sie nicht!« rief der Chef.
»Es ist etwas für den Herrn Professor abgegeben worden«, erklärte die weibliche Stimme.
Karsten schob den Riegel zurück, öffnete die Tür, nahm einen Brief in Empfang und schloß die Tür wieder. Den Brief gab er dem Professor.
Dieser riß den Umschlag auf und las, was auf dem Briefbogen stand. Seine Züge wurden immer unmutiger. Schließlich warf er den Brief auf den Teppich, nahm seinen Kopf in beide Hände und sagte leise: »Das ist zuviel! Davon kann man ja Krämpfe kriegen. Oh, der Halunke soll mich kennenlernen!«
Karsten hob das Schreiben auf und las es. Es war in Blockbuchstaben abgefaßt und lautete folgendermaßen: Sie schreiben gern Briefe. Mir geht es ähnlich. Überdies bin ich Ihnen noch eine Antwort schuldig. Ich habe mich trotz Ihres wohlgemeinten Rates in Gefahr begeben. Darin umgekommen, möchte ich Ihnen mitteilen, bin ich vorläufig noch nicht.
Der Überfall auf das Tanzlokal war nicht übel inszeniert. Daß auch ich für die alten Meister schwärme, konnten Sie nicht wissen.
Ich bin, offen gestanden, sehr gespannt, wer schneller ist. Ob Sie.
Oder die Polizei. Oder ich.
Auf Wiedersehen in Berlin!
Holbein der Jüngere
Karsten sagte nach einer Weile: »So ein frecher Hund!« Dann versank er in Schweigen.
»Und den soll ich laufen lassen?« fragte Professor Horn empört.
»Das ist wohl nicht dein Ernst! Die ganze Branche würde einen Monat lang über uns lachen!« Er klingelte dem Zimmermädchen.
Sie kam, war mollig und hatte rote Backen.
Horn trat vor sie hin. »Wer hat Ihnen den Brief übergeben? Ein Bote?«
»Nein«, sagte sie. »Er sah aus wie ein junger Mann aus gutem Haus. Erst war er beim Portier und erkundigte sich, in welchem Zimmer der Herr Professor wohnt.«
»Er kannte meinen Namen?«
»Nein. Aber er beschrieb den Herrn Professor. Der Portier schickte ihn herauf. Er gab mir den Brief. Und fünf Mark. Den Brief sollte ich hier abgeben. Das Geld sollte ich behalten. – Dann ging der junge Mann wieder hinunter und sprach mit dem Portier. Vor allem wollte er wissen, ob die Chaussee nach Berlin in gutem Zustand wäre.«
Karsten fragte: »Wie sah der Herr aus?«
»Brünett«, erklärte das Zimmermädchen. »Graue Augen.
Schlank. Bartlos. Einsdreiundachtzig groß. Und Kragenweite vierzig.«
Die beiden
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