Kastner, Erich
das Päckchen hin.
»Nein«, sagte sie. »Wenn der echte weg ist, brauche ich auch den falschen nicht. Wert ist er sowieso nicht viel. Wollen Sie ihn zur Erinnerung an Ihr dänisches Abenteuer behalten? Mein Chef hat bestimmt nichts dagegen. Er sammelt keine Kopien.«
»Wie Sie wollen«, meinte Külz. »Schönen Dank auch. Ich werde das Dings in unsrer Ladenstube über das Sofa hängen. Da ist noch für was Kleines Platz.« Er gähnte und nickte ihr zu. »Das war ein Tag! Meine Herren! Und wo mag jetzt unser Rudi sein? Er fehlt mir geradezu.«
»Gute Nacht, Papa Külz«, flüsterte sie und trat schnell in ihr Zimmer.
Das Netz, in dem man heute Diebe fängt, ist aus Draht geflochten und heißt: das Telefonnetz. Die Drähte, die sich an hohen Masten durchs Land ziehen, summten. Die Meldung von dem Raub der Holbein-Miniatur und die Tatsache der hohen Belohnung verbreiteten sich mit Windeseile nach allen Richtungen. In den Zeitungsgebäuden wurden die Rotationsmaschinen angehalten. Die Nachtredakteure dichteten zweispaltige Überschriften und ließen die Neuigkeit nachschieben.
Lieblichs Grogkeller liegt in einer jener Rostocker Straßen, die steil bergab zum Hafen hinunterführen.
Da es bedauerlicherweise überall Menschen gibt, deren Lebensführung daran schuld ist, daß die Strafgesetzbücher nicht abgeschafft werden können, gibt es auch in jeder Stadt Lokale, in denen sich dunkle Existenzen treffen, um ihre beruflichen Erfahrungen auszutauschen und hierbei dem Alkoholgenuß zu frönen.
Professor Horn traf als erster bei Vater Lieblich ein und ließ sich sofort in das Hinterzimmer führen, an dessen Tür ein Schild angebracht war. »Kleines Vereinszimmer« stand auf dem Schild.
Vater Lieblich schien den weißbärtigen Gast zu kennen, barst vor Neugierde und erstarb in Hochachtung.
»Raus!« befahl Professor Horn. »Meine Leute werden gleich kommen. Wir wünschen ungestört zu bleiben.«
Vater Lieblich zog sich devot zurück.
Der Professor nahm Platz.
Nach und nach, in kleinen Gruppen, erschienen die anderen Mitglieder des »Vereins«. Sie setzten sich an die im Zimmer verstreuten Tische. Vater Lieblich bediente persönlich. Sie rauchten und tranken.
»Wir sind komplett«, sagte plötzlich der kleine Herr Storm. »Nur die zwei, die du im Seebad Warnemünde zurückgelassen hast, fehlen.«
»Es ist gut.« Professor Horn winkte dem Wirt.
Vater Lieblich trollte sich.
Der Chef sah sich im Zimmer um. »Ich nehme an, daß die Polizei bereits im Bilde ist. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich fahre rasch ins Hotel Blücher, hole meinen Handkoffer, zahle und gebe an, ich reise nach Hamburg. Anschließend komme ich wieder hierher und nehme mir den Bart ab. Ihr andern verkrümelt euch möglichst rasch. Storm und Achtel können das arrangieren. Hauptsache ist, daß ihr getrennt marschiert. Am Dienstag sind alle in Berlin! Ich werde als englischer Tourist einige norddeutsche Städte aufsuchen. Das wird im Interesse Holbeins des Jüngeren notwendig sein.«
Die anderen schmunzelten.
»Vielleicht schlage ich auch einen Haken«, erklärte der Chef. »Es kann nötig werden, daß ich vom Süden aus in Berlin ankomme. Man wird ja sehen. Auf alle Fälle treffen wir uns am Dienstag in Berlin.
Geld habt ihr ja genug bis dahin.«
»Ich weiß nicht recht«, meinte Storm.
»Aber ich weiß es«, antwortete Professor Horn. »Hat noch jemand eine Frage?«
Die anderen schwiegen.
»Gut«, sagte er. »Nun gebt mir das Päckchen und haut ab!« Er erhob sich und blieb abwartend stehen.
Niemand rührte sich.
»Los, los! Her mit der Miniatur!«
Die Männer blickten einander schweigend an.
Jeder wartete, daß der andere ein Päckchen aus der Tasche ziehen werde. Sie warteten vergeblich. Professor Horn stampfte mit dem Fuß auf. »Wer hat die Miniatur?«
»Ich hab’ sie nicht«, sagte Philipp Achtel. »Ich dachte, Klopfet hätte sie. Er war dem Tisch am nächsten, als das Licht ausging.«
»Ich habe sie nicht«, entgegnete der Mann, der Klopfer hieß. »Als das Licht ausging, dachte eine Frau, ich sei ihr Mann. Sie hielt mich fest und nannte mich in einem fort ›Arthur‹. Als ich endlich an die Handtasche rankonnte, war sie leer. Da dachte ich, Pietsch hätte die Miniatur.«
Pietsch war der Kerl, der wie ein Ringkämpfer aussah. Er schüttelte den demolierten Schädel. »Ich habe sie auch nicht. Ich griff nach der Tasche. Doch ehe ich sie erwischt hatte, funkte mir jemand mit einem harten Gegenstand auf dem Kopf herum,
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