Kastner, Erich
Hausflur und harrte der Dinge, die eventuell kommen sollten.
Vor einer Berliner Tiergartenvilla fuhr ein großes elegantes Automobil vor. Der Chauffeur stieg aus und riß den Wagenschlag auf.
Ein kleiner, zierlicher alter Herr ließ sich heraushelfen und nickte dem Chauffeur freundlich zu. Dann sagte er: »Ich brauche Sie noch.
Warten Sie hier!«
Der Chauffeur salutierte.
Der zierliche Herr schritt auf die Villa zu.
Ein Diener eilte die Treppen herunter, öffnete das Tor und verbeugte sich.
»Alles in Ordnung?« fragte der Herr.
»Jawohl, Herr Steinhövel«, sagte der Diener. »Und Fräulein Trübner ist in der Bibliothek.«
Herr Steinhövel nickte und stieg langsam die Freitreppe empor. In der Halle nahm ihm der Diener Hut und Mantel ab. Dann ging der zierliche alte Herr durch die Halle und öffnete die Tür, die zur Bibliothek führte.
Irene Trübner, die in einem Stuhl saß, in dem seinerzeit der aufgeklärte Habsburger Josef II. gesessen hatte, sprang verstört auf und begann plötzlich zu weinen, als hätte sie damit seit Tagen gewartet.
»Aber, aber!« sagte Herr Steinhövel erschrocken und blickte zu seiner schlanken Sekretärin empor. »Weinen Sie bitte nicht!«
»Jawohl«, brachte sie eben noch heraus. Dann weinte sie schon wieder.
Er drückte sie sanft in Josefs II. Sorgenstuhl und setzte sich auf ein Taburett, das daneben stand. »Wer konnte denn ahnen, daß es eine ganze Räuberbande auf unseren Holbein abgesehen hatte? Dagegen war kein Kraut gewachsen.«
Sie nickte, schluchzte und war vollkommen aufgelöst.
Herr Steinhövel, der seine Sekretärin bisher nur als eine energische junge Dame kannte, wußte sich gar nicht zu benehmen. Am liebsten hätte er sein Taschentuch gezogen und ihr die Nase geputzt.
Doch das ging ja wohl nicht gut.
»Ich möchte um meine Entlassung bitten«, stammelte sie.
»Aber was soll ich denn ohne Sie anfangen?« fragte er erschrocken. »Nein, mein Kind, das werden Sie mir doch nicht antun!
Ich bin ein alter Mann. Ich habe mich an Sie gewöhnt. Nein, ich lasse Sie nicht weg!«
Sie trocknete sich die Augen. »Nein?«
»Unter gar keinen Umständen!« rief er. »Und nun erzählen Sie erst einmal in aller Ruhe, wie die Geschichte vor sich gegangen ist!«
»Vorgestern«, sagte sie, »fing es an. Im Hotel d’Angleterre. Ich saß vorm Hotel und trank Kaffee…«
Joachim Seiler saß im Vorgarten des Cafe Hofmann in der Kantstraße, trank ein kleines Pilsner und blickte gespannt zu dem Haus hinüber, in dem er wohnte.
»Tag, Seiler!« sagte jemand. »Du machst heute so einen somnambulen Eindruck. Wo fehlt’s denn?«
»Menschenskind, Struve!« rief der junge Mann hocherfreut. »Wir haben uns ja ewig nicht gesehen!«
»Immer diese Übertreibungen!« meinte Rudi Struve. »Am vorigen Freitag haben wir hier noch beim Schach remis gemacht. Wenn die Ewigkeit nicht länger dauert, ist übermorgen der Jüngste Tag.«
Er setzte sich. »Wo warst du denn inzwischen?«
»Ich hatte viel Arbeit«, erwiderte Seiler. »Und du? Ist die c-Moll-Symphonie fertig?«
»Nicht ganz«, erklärte der Komponist und fuhr sich durch die blonde Mähne. »Mir fiel mal wieder nichts ein. Wie gewöhnlich.
Und da fuhr ich nach Bautzen.«
»Wozu ausgerechnet nach Bautzen?«
»Wegen einer alten Flamme. Sie ist dort am Theater. Aber sie hatte gerade keine Zeit.«
»Aha!« sagte Seiler.
»Erraten«, entgegnete Struve. »Und heute früh wurde ich von der Kriminalpolizei abgeholt! Was sagst du dazu?«
»Nein! Ist das dein Ernst?«
»Ja. Und was glaubst du, was ich verbrochen habe? Ich war erstens gar nicht in Bautzen, sondern in Kopenhagen! So fängt’s an.
Außerdem habe ich gar keine alte Flamme von mir besuchen wollen.
Sondern ich habe das Bild einer englischen Königin geklaut. Jawohl!«
»Wenn das alles stimmte«, sagte Joachim Seiler, »dann säßest du ja jetzt wohl nicht hier, sondern wärest besser aufgehoben«.
Der kleine dicke Komponist fuchtelte drohend mit dem Arm.
»Ein Hochstapler hat sich meinen Namen zugelegt. Ist das nicht unglaublich?«
»Unglaublich«, meinte Seiler und blickte angelegentlich zu seinem Haus hinüber.
»Wenn ich den Kerl erwische!« rief Herr Struve. »Den hacke ich in kleine Würfel!«
»Recht geschieht ihm«, pflichtete der Freund bei.
»Glücklicherweise«, erzählte der erregte Komponist, »wurde ich einem jungen Mädchen und einem alten Mann mit einem Schnauzbart vorgeführt. Er sah aus wie Adamson. Nur viel größer und breiter. Und die
Weitere Kostenlose Bücher