Kastner, Erich
von Ihnen war? Was halten Sie davon?«
»Ich muß doch sehr bitten!« meinte Struve gereizt. »Ich habe keine Verbrecher in meiner Bekanntschaft!«
»Wenn es kein Bekannter von Ihnen war«, überlegte der Beamte,
»dann ist es ein Unbekannter gewesen. Ein Mann, der, bevor er seinen Raubzug antrat, im Berliner Adreß- oder Telefonbuch geblättert und sich einen Namen zugelegt hat, unter dem er auftreten und gegebenenfalls verschwinden konnte.«
»Den Kerl bring ich um!« sagte Herr Struve.
»Erst müßt ihr ihn haben«, behauptete Fleischermeister Külz.
»Unserm Struve aus Kopenhagen hätte ich es kolossal verübelt, wenn er hier erzählt hätte, er sei in Bautzen gewesen, um sich vor dem Begleiter einer Schauspielerin zu fürchten.«
»Ich verbitte mir jede Kritik«, sagte der Komponist. »Es ist möglich, daß Ihnen ein Dieb von Kunstgegenständen sympathischer ist, als ich es bin. Aber es interessiert mich nicht, mein Herr!«
»Auch Komponisten stehlen manchmal«, entgegnete der Fleischermeister aus der Yorckstraße. »Keine Holbeine, sondern Noten!« Er lachte. Dann winkte er ab. »Ich wollte Sie aber nicht kränken. Gestatten Sie, mein Name ist Külz!« Als der andere nicht antwortete, fragte er: »Schreiben Sie Schlager?«
»Nein«, rief Herr Struve. »Nein, Sie Ignorant! Und jetzt gehe ich heim! In die Holtzendorffstraße, meine Herrschaften! Oder will mich die Polizei noch länger als unfreiwilligen Komiker hierbehalten?«
»Nicht doch, Herr Struve!« sagte der Kommissar. »Ich bitte Sie in meinem Namen und im Namen meines Rostocker Kollegen um Entschuldigung.«
»Das kommt von den Theorien«, murmelte Papa Külz.
Der Kommissar verstand ihn nicht und fuhr fort: »In spätestens einer halben Stunde sind Sie frei, Herr Struve. Ich muß nur noch die notwendigen Formalitäten erledigen. Nur noch dreißig Minuten Geduld! Und halten Sie sich, wenn ich darum bitten darf, ebenso wie Fräulein Trübner und Herr Külz, in den nächsten Tagen zu unserer Verfügung.«
»Worauf Sie sich verlassen können«, erklärte der Komponist. »Es verlangt mich sehr, den Herrn kennenzulernen, der sich erdreistet hat, meinen ehrlichen Namen zu mißbrauchen. Das bin ich meinem Vater schuldig. Er war Beamter!«
Der Kommissar ging um den Schreibtisch herum und reichte allen die Hand. »Die Sache kompliziert sich«, meinte er. »Wer hat die Miniatur gestohlen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Papa Külz. »Aber ich wette einen halben Ochsen gegen ein Veilchenbukett, daß es unser junger Mann nicht war!« Er reichte, galant wie ein Brautführer, Irene Trübner den Arm.
»So, und jetzt fahre ich schleunigst heim. Die Familie und die Emilie warten schon!«
16. KAPITEL
DIE ANKUNFT IN BERLIN
Der junge Mann, der sich in den letzten Tagen Rudi Struve genannt hatte, ohne so zu heißen, war mittlerweile in seiner Wohnung angekommen. Diese Wohnung war klein und befand sich im vierten Stock des Hauses Kantstraße 177. Auf dem Messingschild, das an der Flurtür angebracht war, stand: Joachim Seiler.
Herr Seiler schloß die Tür von innen ab, legte die Sicherheitskette vor und ging in das Zimmer, das am Ende der Diele lag.
Neben der geräumigen Couch stand ein niedriger Tisch. Der junge Mann holte ein Päckchen aus der inneren Jackettasche und legte es behutsam auf die polierte Tischplatte. Dann ging er in die Diele zurück, hängte an der Garderobe Hut und Mantel auf und verfügte sich ins Badezimmer, um sich zu säubern.
Er war hundemüde. Und das war kein Wunder. Als er nach der Fahrt durch Mecklenburg und die Mark Brandenburg sein Leihauto gemäß der Abrede in der Garage von Kienast am Stettiner Bahnhof ablieferte, war ihm aufgefallen, daß ihn einige auf der Straße lungernde Gestalten außerordentlich neugierig musterten. Er war eiligst in ein Taxi gesprungen und davongefahren.
Trotzdem gab er sich keinem Zweifel hin. Man war ihm bestimmt gefolgt und wußte also, wo er wohnte! Man wartete wohl nur noch auf den Herrn mit dem weißen Bart und der dunklen Brille, um zum Generalangriff überzugehen.
Herr Joachim Seiler betrachtete das Gesicht, das ihm aus dem Badezimmerspiegel entgegensah, nickte sich selber gedankenvoll zu und sagte: »Das Leben ist eines der schwersten.« Hierauf bürstete er den Scheitel und ging ins Arbeitszimmer. Es grenzte an den Raum, in dem, auf einem niedrigen Tisch, das Päckchen lag.
Er öffnete das Fenster, beugte sich hinaus und schaute auf die Straße hinunter. Vom vierten Stock aus wirkt die
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