Katagi (Drachenfluch Zweites Buch) (DrachenErde - 6bändige Ausgabe) (German Edition)
dachte, der geschuppte Riese würde unwirsch aufstöhnen. Aber der Stoß mit dem Drachenstab schien Ayyaam keineswegs Schmerzen zu bereitet - das Gegenteil war der Fall. Die Kreatur wirkte beruhigt. Der brummende Laut wurde leiser und war nicht mehr ganz so tief. Liisho murmelte daraufhin unablässig Worte in alt-drachenischer Sprache vor sich hin - Formeln, mit denen er auf den Geist des Drachen einzuwirken hoffte.
Der Erfolg war klar zu erkennen: Der Drache schloss sogar die Augen, faltete die Flügel zusammen, und sein Schweif zuckte nicht mehr nervös am Boden herum. Die Pranken am Ende der mächtigen Gliedmaßen entkrampften und öffneten sich. Sogar der Atem wurde gleichmäßiger. Dennoch zeigte sich, dass Liisho hinsichtlich der Hitze des ausgestoßenen Luftstroms die Wahrheit gesprochen hatte, denn schon sehr bald waren die Steine in unmittelbarer Nähe des Mauls angerusst, obwohl der Drache gar keinen Flammenstrahl mehr ausgestoßen hatte.
„Was ist mit den Wunden?“, fragte Rajin.
„Dazu kommen wir gleich“, entgegnete Liisho unwirsch. Mochte Rajin auch der Sohn des letzten rechtmäßigen Kaisers von Drakor sein - der Weise mochte es nicht, wenn ihn jemand zur Unzeit mit Fragen löcherte, die sich seiner Meinung nach von selbst beantworteten, sofern der Betreffende ein Mindestmaß an Geduld aufbrachte und einfach eine Weile abwartete.
Davon abgesehen war Liisho die Gesellschaft anderer Menschen offenbar nicht mehr gewohnt. Anscheinend lebte er seit dem Sturz von Kaiser Kojan I. vor achtzehn Jahren zurückgezogen auf dieser Insel.
Rajin begann plötzlich so etwas wie Bewunderung für ihn zu empfinden. Er stellte sich vor, wie entkräftend und zum Schluss entmutigend es gewesen sein musste, über Jahre hinweg die fünf Prinzen des Hauses Barajan nur mit der Kraft des Geistes zu unterrichten, mit ihnen durch pure Willenskraft ständig in Kontakt zu bleiben und sie zu erziehen – nur, um dann miterleben zu müssen, wie der Usurpator Katagi einen dieser Zöglinge nach dem anderen aufspürte und tötete.
Rajin versuchte sich die Verzweiflung vorzustellen, die Liisho empfunden haben musste. Schließlich war der Weise zur Untätigkeit verdammt gewesen, denn wie hätte er eingreifen können, ohne das Leben der anderen Prinzen und deren Erziehung in Gefahr zu bringen?
Nur einer hatte überlebt, und das war er – Rajin.
Er hatte bisher nicht die Zeit gehabt, wirklich über diese Dinge nachzudenken. So traf ihn die Erkenntnis mit doppelter Wucht – die Erkenntnis, dass die vier jungen Männer, die Katagi hatte ermorden lassen, seine Brüder gewesen waren, die Erkenntnis, welche Verpflichtung mit dem Erbe verbunden war, dass er anzutreten hatte.
Der Drache schlief unterdessen ein, und da erst nahm Liisho den Drachenstab wieder zurück.
Er deutete damit auf eines der Gebäude. Es handelte sich um einen für die Verhältnisse von Qô relativ gut erhaltenen Kuppelbau. Schon beim ersten Rundblick war Rajin aufgefallen, dass dieser eine intakte Tür und sogar ein Fenster aus gemaltem Glas aufwies, was ansonsten nirgends zu finden war.
„Dort habe ich mich einquartiert“, verriet der Weise. „Und genau dort werdet auch ihr in der nächsten Zeit wohnen. Es sei denn, euch ist meine Herberge nicht gut genug. Dann steht es euch natürlich frei, irgendwo anders Unterschlupf zu suchen. Häuser gibt es hier ja nun wirklich genug. Allerdings sind nur die wenigsten in einem Zustand, der sich mit dem Begriff ›bewohnbar‹ umschreiben ließe. Und falls ihr glaubt, das Wetter sei immer so freundlich wie heute, sodass man im Grunde auf dieser Insel gar keine Behausung brauche, so muss ich euch leider enttäuschen.“
„Der Himmel wirkt tatsächlich so, als wäre hier noch nie eine dunkle Wolke vorbeigezogen“, meinte Bratlor. „Aber ich nehme an, dass sich das im Handumdrehen ändern kann.“
„Oh, du bist auf deinen Reisen sogar bis zu den Ufern des östlichen Ozeans gekommen?“, fragte Liisho den Sternenseher auf die herablassende, spöttische Art, die er ihm gegenüber an den Tag zu legen pflegte. „Dann scheint es ja fast, als hätte ich dich unterschätzt, Bratlor!“
Ein mildes, etwas matt wirkendes Lächeln glitt über Bratlors Züge. „Du würdest in mir wahrscheinlich auch dann noch den Barbaren sehen, würde ich mir nach Art der Drachenier den Bart rasieren.“
„Gewiss“, gab Liisho zurück. „Denn wie du siehst, trage ich entgegen der drachenischen Sitte auch einen Bart. Es kommt nicht auf
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