Katakomben (van den Berg)
Auftretens
wurde ihm meist der Schreibkram zugeschoben, also jene Arbeit, vor der sich die
meisten Polizisten gerne drückten. De Breuyn war zwar ungelenk im Umgang mit
Menschen, wenn es aber um das Recherchieren von Daten ging, war der Polizist
ein unumstrittener Meister, denn dabei ging er überaus akribisch vor. Van den
Berg hatte ihm die Detailsuche in der Datenbank nicht zufällig übertragen. „Ich
habe alles durch den Rechner gejagt“, meinte der Polizist, der mit seiner zu
kurzen Hose und seiner schweren und zu großen Brille dem Klischee eines
Sonderlings auch äußerlich entsprach. „Ich habe natürlich erstmal an den
Ritualmord vor einem Jahr gedacht. Aber der Typ hat sich in der Haft ja gleich
die Pulsadern aufgeschnitten- der scheidet ja wohl aus.“ Die Polizisten lachten
über die eigenwilligen Ausführungen ihres Kollegen. Auf einen religiösen
Zusammenhang und irgendwelche Kirchen bin ich nicht gestoßen, aber ich habe
hier zwei Typen - die haben ihre Opfer vergiftet. „Erzähl schon“, zischte van
den Berg wie elektrisiert. „Der Witz ist, dass beide draußen rumlaufen. Nummer eins:
Thierry Muller. Hat seiner Lebensgefährtin in der Nacht eine Spritze verpasst,
die es in sich hatte. Ist vor sechs Monaten raus gekommen. Nummer zwei: Yves
Grangé, er hat Diskobesuchern etwas in die Cocktails gemischt, das da nun
wirklich nicht reingehört – E605, ein Insektengift. Er ist schon seit zwei
Jahren draußen, seitdem unauffällig wie eine Betschwester. Wie gesagt: In
beiden Fällen ist Gift im Spiel.“ Nicole guckte skeptisch. „Ich weiß nicht, ob
das passt. Aber wir überprüfen das auf alle Fälle. Bestimmt nett, die Jungs kennenzulernen“,
meinte van den Berg, der jetzt richtig aufgedreht war.
Sie
hatten ein totes Mädchen. Aber was wussten sie schon über sie? Sie hatte bis zu
ihrem Verschwinden in einem stinkenden Saustall gelebt. Und sie konnten davon
ausgehen, dass sich das Mädchen nachts gerne in den Brüsseler Bars herumtrieb. „Wir
sollten die Gegend um den Bahnhof abgrasen, da sind besonders viele Kreuze“,
schlug Deflandre vor. „Der Stadtplan könnte uns weiterhelfen“, nickte van den
Berg. Die Polizisten waren sich einig, am Abend an den Gare du Nord zu fahren,
in eine Gegend, die sie gerne mieden, weil es da immer Ärger gab. Van den Berg würde
Nicole mitnehmen.
Auf
dem Weg nach Hause in die Rue de Stassart hielt van den Berg bei Renard. Die
Verkäufer der Konditorei kannten ihn alle, er bestellte fast immer das Gleiche.
Im Winter wählte er meist die knusprigen Schweineohren, mit feinster Schokolade
überzogen. In der warmen Jahreszeit bevorzugte er die kleinen Erdbeertörtchen,
die liebevoll mit Schokoguss arrangiert waren. Die süßen Leckereien waren
symptomatisch für van den Bergs Lebensstil. Er war ein Genussmensch, und von
allem wollte er nur das Beste.
Van
den Berg fuhr zum verabredeten Treffpunkt. Als er auf die Rue de la Loi
eingebogen war, klingelte sein Handy. „Komm sofort zur Église Sainte-Catherine!“,
brüllte eine erregte Stimme in sein Ohr. Frank De Gruye, der erst seit zwei
Monaten im Kommissariat arbeitete, klang kurzatmig. „Mal langsam!“, entgegnete
van den Berg cool. „Es gibt eine Tote an der Catherine. Mehr wissen wir noch
nicht. Ihr müsst da so schnell wie möglich hin.“ „Okay!“, presste van den Berg
hervor. Er fühlte sich, als hätte er einen Matschklumpen im Kopf. „Sag Nicole
und Eric Bescheid“, sagte er hastig, bevor er das Gaspedal bis zum Anschlag
durchtrat. Als er einen Lastwagen rechts überholte, blieb er beinahe an einem
Laternenmast hängen. Van den Berg kannte das Geräusch, wenn das Blech an
irgendetwas vorbei schrammte, nur zu gut. Es war ihm egal, er fuhr weiter so
schnell es ging. Van den Berg bereitete sich darauf vor, dass ihn wieder etwas
Grauenhaftes erwartete. Er dachte kurz an das Mädchen an der St. Michel – ihm
wurde klar, dass sie es mit einem Serienmörder zu tun hatten. Van den Berg
raste auf die Kirche zu und stieg erst kurz vor dem Portal auf die Bremse. Ohne
den Motor auszustellen, rannte er zur Tür, die verschlossen war. Es hatte
wieder angefangen zu regnen, und es war kalt. Vor der Tür lag ein Mädchen, das
in ein weißes Nachthemd gehüllt war, durch den Regen völlig durchnässt. Van den
Berg kam sich vor wie in einer Zeitschleife, genau das hatte schon einmal
gesehen. Zwei Streifenpolizisten, die zur Kirche gerufen worden waren, standen apathisch
neben dem Kommissar. Van den Bergs Gesicht
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