Katakomben (van den Berg)
im Rücken ihres
Kollegen. Van den Berg tippte vorsichtig auf die Klingel. Nichts rührte sich in
dem Haus, das grau und unauffällig wirkte und sich in nichts von den Nachbargebäuden
unterschied. Sie schellten erneut. Wieder kam keine Reaktion. Beim dritten
Versuch vernahmen sie ein dumpfes Rumpeln aus dem Innern des Hauses. Dann war
es wieder still. Van den Berg überlegte kurz, ob er Verstärkung anfordern
sollte. Im gleichen Moment schlug etwas von innen an die Tür. Die beiden wurden
nervös, van den Berg entsicherte blitzschnell seine Waffe. Die Tür öffnete sich
langsam. Vor ihnen stand ein etwa 50-jähriger Mann. Er trug einen weißen
Bademantel, er war unrasiert und seine glasigen Augen blickten aus tiefen
Augenhöhlen. „Was gibt´s?“, nuschelte die Gestalt. „Sind sie Thierry Muller?“
„Wer will das wissen?“ Van den Berg zog hastig den Dienstausweis aus seiner
Innentasche. Die Polizisten folgten dem Mann ins Wohnzimmer. Ein mächtiger
Eichentisch stand am Ende des Raumes, an den Wänden hingen Reproduktionen von
Werken aus der Zeit des Expressionismus. „Herr Muller, wo waren sie gestern und
vorgestern?“, fragte van den Berg knapp. Nicole beobachtete den Mann
konzentriert, während er seine Stirn in Falten zog und nachdachte. „Ich war zu
Hause.“ „Was denn, die ganze Zeit? Arbeiten sie nicht?“ „Ich bin krank. Ich
leide unter Pfeifferschem Drüsenfieber.“ Van den Berg musterte den Mann skeptisch.
„Kann jemand bezeugen, dass sie die letzten Tage hier waren?“ Nein, ich lebe
allein.“ Van den Berg warf Nicole einen fragenden Blick zu. Der Blick der
Psychologin verriet, dass sie Muller bereits durchschaut hatte. Dieser
schwächliche Typ sollte die Mädchen zu den Kirchen geschleppt haben? Das konnte
sie sich schwerlich vorstellen. „Ich nehme an, sie sind in ärztlicher
Behandlung?“, fragte van den Berg. Muller nickte und schrieb die Telefonnummer
seines Docs auf einen Zettel. „Wir werden das überprüfen.“ „Worum geht es hier
eigentlich? Von welcher Abteilung sind sie?“ „Wir ermitteln in einem Mordfall.
Sie lesen wohl keine Zeitung?“ Muller machte Anstalten zu protestieren. „Unser
Besuch ist reine Routine“, beruhigte ihn van den Berg. Die Polizisten
verabschiedeten sich. „Dass der Typ ziemlich kaputt ist, dürfte klar sein,
oder?“, meinte Nicole, als sie in den Wagen stieg. „Aber er hat kein Alibi.
Vielleicht spielt er uns was vor. Wir lassen ihn observieren, bis wir mehr
wissen.“ Nicole zögerte einen Augenblick. „Ist dir aufgefallen, dass Muller deinem
Blick ein einziges Mal ausgewichen ist?“ Der Kommissar schaute Nicole verblüfft
an. „Nein, wann denn?“ „Als du ihm klargemacht hast, dass es um Mord geht.“ „Und?“
„Er hat nicht nur weggeschaut, er hat sich mit seiner Hand über die Stirn
gestrichen. Das war eine Spur zu heftig. Irgendetwas gefällt mir an dem Typen
nicht.“ „Muller ist ein verurteilter Mörder, da darfst du nicht zu viel
erwarten“, scherzte van den Berg. Nicole lächelte nachdenklich. „Jedenfalls hat
er das Mädchen nicht die Treppe raufgeschleppt.“ Van den Berg nickte. Er hatte
Muller nicht mehr auf der Rechnung, aber ganz sicher war er sich nicht. „Ich
werde mit seinem Arzt sprechen, dann wissen wir, ob er uns Märchen erzählt
hat.“
Yves
Grangé war in der Rue de Spa gemeldet. Der Zufall wollte es, dass die
gutbürgerliche Straße, die an der großen Verkehrsachse Rue de la Loi lag, Nicole
bestens bekannt war. Eine Freundin war vor ein paar Monaten nach Brüssel
gezogen und lebte in der ruhigen Straße in einer Wohngemeinschaft. Van den Berg
parkte seinen MG in zweiter Reihe neben einem Mercedes SL. Die beiden
Polizisten begutachteten das helle Mehrfamilienhaus. Van den Berg studierte die
Klingelschilder und den Briefkasten. „Kein Grangé! Scheiße!“ stöhnte der
Polizist.
Van
den Berg blickte noch einmal an der Hausfassade hoch. Ihm wurde schlagartig
klar, dass die Suche nach dem zweiten Verdächtigen länger dauern würde. Er
überließ Deflandre die Befragung der Nachbarn und fuhr ins Büro. Im Kommissariat
kam ihm De Breuyn auf dem Flur entgegen. „Ich habe mit Mullers Arzt gesprochen.
Der Typ leidet tatsächlich unter Pfeifferschem Drüsenfieber, seit mindestens einem Jahr. Außerdem säuft er wie ein Loch. Der
Doc hält es für ziemlich unwahrscheinlich, dass dieses Wrack ganz easy eine
Mädchenleiche so eine lange Treppe hinauf schleppt“, meinte der Polizist mit
seinem typischen
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