Kater Brown und die Klostermorde - Kriminalroman
dass er auf den Parkplatz gefahren, ausgestiegen und dann zum Haus gegangen ist? Vielleicht hat er ja auch kurz vor dem allgemeinen Zubettgehen das Hotel verlassen, weil ihn jemand abholen wollte, ist zu seinem Wagen gegangen, hat irgendwas rausgenommen oder reingelegt, und als sein Bekannter oder seine Bekannte kam, um ihn abzuholen, hat er nicht mehr an den Schlüssel gedacht und ist in den anderen Wagen eingestiegen und weggefahren.«
»Wer soll ihn denn abends noch abholen?«, wunderte sich Tobias.
Sie schnaubte frustriert. »Ich kenne den Mann so gut wie gar nicht. Woher soll ich das also wissen? Ich überlege nur, was gestern Abend geschehen sein könnte.« Dann drehte sie sich um. »Was ist eigentlich mit Kater Brown los? Seit wir hier draußen sind, meckert er am laufenden Band.« Sie winkte dem Kater zu, der sich auf den Rand des Ziehbrunnens gesetzt hatte und in regelmäßigen Abständen miaute. Dabei ließ er Alexandra nicht aus den Augen. »Man könnte fast meinen, dass er nach mir ruft.«
»Sieh an«, scherzte Tobias. »Es gibt ja doch Männer, auf die du hörst, wenn sie dich rufen.«
»Wenigstens hat Kater Brown nicht ständig einen blöden Anmacherspruch drauf«, rief sie über die Schulter zurück.
Gerade als sie den Kater erreicht hatte, balancierte er über die großen, unregelmäßig geformten Steine des Randes auf die andere Seite des Brunnens und miaute weiter. Sobald Alexandra ihm folgte, verließ er seinen Platz und kehrte wieder zu seinem Ausgangspunkt auf der gegenüberliegenden Seite zurück. Dieses Schauspiel wiederholte sich einige Male.
»Wenn du so weitermachst, kommst du nie mehr zu den Streicheleinheiten. Ich müsste mich schon über den Brunnen beugen, und ich habe keine Lust, dass ich …« Sie verstummte, als sie sich tatsächlich ein Stück über den Brunnenrand lehnte und ihr Blick nach unten in den dunklen Schacht fiel. Für einen Moment meinte Alexandra, auf dem Grund des Brunnens schemenhaft eine Gestalt zu sehen, und sie wurde von einem so eigenartigen Gefühl gepackt, dass sie nach ihrem Handy griff, den Zoom betätigte und auf gut Glück in die Tiefe fotografierte.
Schließlich sah sie sich das Foto an und erstarrte mitten in der Bewegung.
»Stimmt was nicht?«, rief Tobias ihr zu und kam näher.
»Ich glaube, ich weiß, wo Herr Wilden geblieben ist«, sagte sie leise und zeigte in den Brunnenschacht.
6. Kapitel
Nachdem ein paar starke Taschenlampen herbeigeschafft worden waren, standen Alexandra und Tobias Seite an Seite am Rand des Brunnens und schauten gemeinsam mit Bruder Johannes in den Schacht. Zwei andere Mönche hielten je zwei Lampen nach unten gerichtet, damit die Lichtkegel für genügend Helligkeit sorgten.
»Herr Wilden?«, rief Bruder Johannes zunächst so leise, als hätte er Angst, einen Schlafenden zu wecken, wurde dann aber lauter und lauter. Als Wilden keine Reaktion zeigte, schüttelte der Mönch besorgt den Kopf und sah zu Alexandra. »Er ist wohl tot, nicht wahr?«
Sie atmete tief durch, dann nickte sie. »So sieht es aus … oder … oder was meinst du, Tobias?«
»Ich glaube nicht, dass man den Kopf so sehr anwinkeln kann«, antwortete er, »es sei denn, das Genick ist gebrochen.«
»Ich auch nicht«, stimmte sie ihm bedrückt zu. »Doch falls er noch lebt, kann er von Glück reden, dass der Brunnen nicht mehr in Betrieb ist, sonst wäre er da unten längst ertrunken. Möchte wissen, wie Wilden da reingeraten ist.«
»Vielleicht war der Brunnen ja das Einzige, wo er seine Nase noch nicht reingesteckt hatte, und das wollte er unbedingt nachholen«, sagte Tobias und ließ im nächsten Moment ein verdutztes »Autsch!« folgen, da Alexandra ihm mit der Faust gegen den Oberarm geschlagen hatte. »Was soll denn das?«
»Da unten ist wahrscheinlich kürzlich ein Mensch zu Tode gekommen, und du hast nichts Besseres zu tun, als deine dämlichen Witze zu reißen!« Sie drehte sich wieder zu Bruder Johannes um, der Tobias auch vorwurfsvoll betrachtete. Dabei bemerkte sie aus dem Augenwinkel, dass die anderen Mönche eine Art Menschenkette gebildet hatten, um die übrigen Gäste daran zu hindern, ebenfalls einen Blick in den Brunnen zu werfen. Dass sie und Tobias aus erster Hand das Geschehen mitverfolgen durften, war Bruder Johannes’ Entscheidung zu verdanken, ihnen freien Zugang zu gewähren.
»Der Notarzt ist alarmiert?«, fragte sie den Mönch.
Er nickte.
»Tja, dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als zu warten«, meinte Tobias.
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