Kater mit Karma
Geschenkelisten, Frisuren und Make-up, Musik, Sitzordnung und Tischschmuck. Außerdem Danksagungskarten und Geschenke für die Brautjungfern und Trauzeugen. Ganz zu schweigen vom Brautkleid. Rob und Chantelle waren beruflich stark eingespannt und schienen sich nicht im Klaren darüber zu sein, dass sie, um ihren Traum von einer traditionellen Hochzeit zu verwirklichen, einen Terminplan erstellen und sich daran halten mussten, auch wenn ihre Abende und Wochenenden dabei draufgingen.
Eines Abends, Philip war bei einem Geschäftsessen und ich hatte mich in meinen Hochzeitsratgeber vertieft, kam Lydia in einer Räucherstäbchenduftwolke die Treppe heruntergeschwebt. Meditieren um neun Uhr abends? , dachte ich. Sie nahm es wirklich ernst. Als ich ihr den Ratgeber zeigte, erklärte sie, sie könne das ganze Theater nicht verstehen. Sie würde lieber an einem Strand heiraten. Lydia als Kind der Generation Y tendierte also wieder in Richtung Hippie. Aber Moment mal! Dachte sie etwa übers Heiraten nach? Vielleicht ging ihre Beziehung zu Ned tiefer, als sie bisher zu erkennen gegeben hatte.
Lydia riss mich aus meinen Gedanken, indem sie erklärte, sie müsse mir etwas Wichtiges sagen. Ich umklammerte den Hochzeitsratgeber. Das Ticken der Küchenuhr hallte im Rhythmus meines Herzschlags durch den Raum. War es möglich, dass wir gleichzeitig auch noch eine Hochzeit am Strand ausrichten mussten?
»Ich gehe nach Sri Lanka«, sagte Lydia.
Sri Lanka? Die Flower-Power-Hochzeit löste sich in Luft auf.
»Du meinst, nach Abschluss deines Studiums?«, fragte ich.
»Nein. Schon bald«, sagte sie und wich meinem Blick aus. »In ein paar Wochen.«
»Aber Sri Lanka befindet sich mitten in einem Bürgerkrieg!«, stieß ich hervor und legte den Hochzeitsratgeber weg.
»Ich kenne Leute, die gerade zurückgekommen sind«, erwiderte sie mit der Zuversicht, wie sie nur Dreiundzwanzigjährige aufbringen können. »Die sagen, da, wo ich hingehe, ist es absolut sicher.«
Ein Bleigewicht rutschte in meine Füße und nagelte sie am Boden fest. Das durfte doch nicht wahr sein. Interessierte sich Lydia denn nicht einmal am Rande für das Weltgeschehen? Sri Lanka befand sich seit beinahe fünfundzwanzig Jahren im Bürgerkrieg.
»Wo genau willst du hin?«, fragte ich und bemühte mich, meine Stimme sachlich klingen zu lassen.
»Ins Kloster.«
Natürlich! Das war es also, was Lydia und ihr Mönch in den vergangenen vier Jahren miteinander ausgeheckt hatten. Warum hatte sie mir nichts davon erzählt? Ich fühlte mich hintergangen. Philip hatte recht gehabt. Der Mönch hatte es tatsächlich geschafft, irgendeine Art von Macht über unsere Tochter zu gewinnen.
»In der Gegend von Melbourne gibt es jede Menge buddhistische Klöster«, sagte ich. »Warum musst du deswegen gleich nach Sri Lanka?«
»Weil ich etwas über Meditation lernen will.«
»Aber hier gibt es doch auch genug Meditationskurse«, erwiderte ich.
»Außerdem will ich in einem Waisenhaus arbeiten«, fügte sie hinzu, als könnte mich das milder stimmen.
Was es zugegebenermaßen tat, wenn auch nur kurz. Bei dem Tsunami im Dezember 2004 waren in Sri Lanka fast 30.000 Menschen ums Leben gekommen. Familien waren zerstört worden. Ein jahrzehntelanger Krieg und Naturkatastrophen machten Sri Lanka zweifellos zu einem der geplagtesten Länder dieser Erde. Trotzdem war ich nicht bereit, unsere Tochter diesem Elend zu opfern.
»Das Kloster liegt ziemlich abgelegen in den Bergen im Süden«, sagte sie, griff in den Kühlschrank und steckte sich eine Bio-Heidelbeere in den Mund. »Der Krieg findet viel weiter oben im Norden statt.«
Unsere Tochter hatte offensichtlich gravierende Bildungslücken. Sie musste doch begreifen, dass Krieg etwas war, vor dem die Menschen flohen und ihm nicht entgegenliefen. Sie war ihr ganzes Leben lang behütet worden, jeden Sommer hatten wir sie dick mit Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 30 eingeschmiert und ihr die beste Ausbildung ermöglicht, die wir uns leisten konnten. Anders als unsere Generation hatte sie niemals einen Onkel kennengelernt, der bei El Alamein einen Arm oder ein Bein eingebüßt hatte. Sepiafarbene Fotos von jungen Männern, die bei Gallipoli abgeschlachtet worden waren, sagten ihr noch weniger. Sie war in einer Welt aufgewachsen, in der sich die Supermarktregale unter den Lebensmitteln bogen. Lydia hatte keine Ahnung, wovor sie beschützt worden war.
»Hast du dir mal eine Karte von Sri Lanka angesehen?«, fragte ich und konnte
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