Kater mit Karma
meine Panik kaum verbergen. »Das ist eine winzige Insel, ein Staubkorn im Ozean. Der Norden und der Süden liegen so nahe beieinander wie Melbourne und … Warnnambool.«
Warnnambool liegt ungefähr dreieinhalb Autostunden von Melbourne entfernt an der Küste. Wir waren mal mit einem französischen Austauschschüler hingefahren, um Wale zu beobachten. Es hatte geregnet und unser Gast war nicht sonderlich beeindruckt gewesen.
Da Lydia schwieg, fragte ich sie, wie lange genau sie bleiben wollte.
Sie antwortete ausweichend. Vielleicht ein paar Monate. Monate?!
»Und was sagt Ned dazu?«, fragte ich.
»Der kommt ganz gut ohne mich klar«, sagte sie und betrachtete angelegentlich eine Ritze im Parkett.
»Was ist mit deinem Studium? Und dem Stipendium?«
Der große Zeiger der Küchenuhr blieb stehen. Eine Spinne krabbelte über die Decke.
»Das kann warten«, sagte sie ruhig.
» Warten?! « Meine Stimme schwoll zu einem zittrigen Crescendo an. »Soll das etwa heißen, du willst dein Stipendium sausen lassen?!«
Ihre Augen fingen an zu glänzen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich sie das letzte Mal angeschrien hatte – vielleicht noch nie –, aber ein paar Tränen würden mich nicht dazu bringen klein beizugeben.
»Du verstehst das nicht …«, murmelte sie.
Vier Worte, die jede Mutter mit Freuden hört.
»Ich muss das einfach tun.«
Wann begannen junge Leute, etwas tun zu müssen ? Die meisten Generationen vor ihnen waren froh gewesen, wenn sie lange genug lebten, um ihre Kinder großzuziehen.
»Warum willst du dein Leben aufs Spiel setzen?«
»Viele meiner Freunde leisten ehrenamtliche Arbeit im Ausland«, sagte sie nervtötend stoisch, als wäre ich diejenige, die sich störrisch gab.
»Aber in Sri Lanka herrscht Krieg !«, fuhr ich sie an. »Da gehen Bomben in die Luft und es gibt Terroranschläge. Das trifft auch Ausländer. Kannst du nicht warten, bis die Kämpfe vorbei sind? Oder wenigstens in ein Land gehen, wo sich die Leute nicht gegenseitig umbringen?«
Sie sah mich an, als wäre ich Patientin in der geschlossenen Abteilung und bräuchte dringend meine Medikamente.
»Du kannst da nicht hin«, fügte ich hinzu. »Ich verbiete es dir.«
Verbieten? Das klang wie ein Echo aus der Vergangenheit und einer ähnlichen Auseinandersetzung, nur dass deren Schauplatz eine andere Küche gewesen war, mit einer mit Hunderten von winzigen Weidenkörben bedruckten Tapete und Miniaturdrucken von Hogarths London links und rechts des Kamins. Ein Streit zwischen Mutter und Tochter, aber damals hatte ich die Rolle der starrköpfigen jungen Frau eingenommen und meine Mutter geschrien. »Du bist noch nicht mal achtzehn. Du bist noch ein Kind!« Ich erinnerte mich an den Zorn in ihrer Stimme und daran, dass sie mich mit ihrem Zähneknirschen und Augenrollen an eine der Frauen von Picasso erinnert hatte. Sie hatte mich mit ihrem Zorn wie mit einer Mistgabel in die Ecke gedrängt. »Ich verbiete dir zu heiraten!«
Dad glänzte währenddessen durch Abwesenheit. Wahrscheinlich war er in der Arbeit oder er spielte Schach mit seinem Freund am anderen Ende der Stadt. Männer verstehen es meisterhaft, sich in solchen Situationen unsichtbar zu machen. Das Verbot meiner Mutter hatte mich in meinem Entschluss nur noch bestärkt. Aber immerhin hatte ich nicht vorgehabt, in ein Kriegsgebiet zu reisen.
»Die Flüge sind bereits gebucht und bezahlt«, sagte Lydia kühl.
Gebucht und bezahlt? Genau das hatte ich vor all den Jahren kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag zu meiner Mutter gesagt. Mein Flug nach England ist gebucht und bezahlt. Ich fliege um die halbe Welt, um den Mann zu heiraten, den ich liebe. Du kannst ja versuchen, mich daran zu hindern, alte Frau.
Lydias Augen hatten sich verdunkelt und waren jetzt haselnussbraun mit olivgrünen Flecken. Vielleicht war es eine durch das Licht hervorgerufene Täuschung. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass ihre Augen die gleiche Farbe hatten wie die meiner Mutter.
»Ich fahre in drei Wochen. Gute Nacht«, sagte sie noch, bevor sie die Treppe hinauffloh.
Ich blieb wie betäubt in der totenstillen Küche zurück und kämpfte gegen den Drang an, Teller aus dem Schrank zu reißen und gegen die Wand zu schleudern. Am liebsten wäre ich Lydia nachgelaufen, hätte sie an den Schultern gepackt und so lange geschüttelt, bis sie wieder bei Verstand war, aber ich beherrschte mich.
Lydia war entschlossen, ihren Kopf durchzusetzen. Sie hatte nachgedacht, oder das getan, was sie
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