Kater mit Karma
einem Deutschen gelebt, in Sünde am Strand. Großtante Myrtle hatte Pfeife geraucht und mir den Rat gegeben, für die Liebe alles zu tun. Und deren Mutter wiederum hatte für Wirbel gesorgt, indem sie in ihrer Heimatstadt durch die Straßen marschierte und das Wahlrecht für Frauen forderte.
Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen Lydias Freundinnen mir im Vertrauen von den Streitereien mit ihren Müttern erzählten, hatte ich immer erklärt, die ältere Generation müsse nachgeben. Die junge Frau muss ihre Zukunft so gestalten können, wie sie es will. So hat es die Natur vorgesehen. In Tierherden lässt die Kraft der Alten nach und sie werden von Räubern gefressen. Damit die Spezies überlebt, muss sich die Jugend durchsetzen. Jetzt, wo ich aus der Perspektive eines alten Tiers mit der Praxis konfrontiert wurde, gefiel mir diese Theorie plötzlich gar nicht mehr.
Bei meiner Mutter hatte ich gelernt, mit einer Frau umzugehen, die genauso stark war wie ich selbst. Schreien bringt hier nichts. Um mit einer anderen starken Frau fertigzuwerden, muss man manchmal die direkte Konfrontation meiden und Dinge heimlich tun. Statt über seine Pläne zu reden, ist es besser, für sich eine Entscheidung zu treffen und sie umzusetzen. Das hatte ich getan, als ich, viel zu jung, beschlossen hatte zu heiraten. Und genau das tat Lydia jetzt.
Ich holte die Ohrstöpsel aus meinem Nachttischchen und zwang mich zu schlafen.
7.
Heimsuchung
Gutes kommt von Gutem.
Was macht ein guter Mann, dessen Frau kurz vor einem Nervenzusammenbruch steht, weil die Tochter nach Sri Lanka geht und sie selbst sich zur Hochzeitsplanerin ihres Sohnes ernannt hat? Er begleitet sie in ein Wellness-Hotel in New South Wales. Philip hätte zwar lieber von einem Zelt aus Krokodilangriffe abgewehrt, aber dann erklärte er sich doch bereit, sich gemeinsam mit mir einige Entgiftungstage zu gönnen.
Das Wellness-Hotel bot alles, was ich mir erhofft hatte: ein bisschen Luxus, ein bisschen Natur, ein bisschen Kur. Erledigt von der langen Fahrt erklommen wir die Stufen zu einem Marmorfoyer, das Wohlbefinden ausstrahlte. Wir hatten uns gegenseitig versprochen, die nächsten paar Tage nicht über Hochzeiten, Sri Lanka oder andere kinderrelevante Themen zu reden. Das hier war genau die richtige Umgebung, um all das zu vergessen.
Zum Gemurmel von Springbrunnen aus Vulkangestein rieselten New-Age-Didgeridoo-Klänge aus Lautsprechern. Das Lächeln der Hotelangestellten ließ uns wissen, dass auch wir jung, gebräunt, schlank und schön sein könnten, wenn wir nur die nötige Einstellung und Disziplin aufbrächten.
Ich zog den Bauch ein und entblößte meine ungebleichten Zähne zu dem Lächeln einer in die Jahre gekommenen, leicht moppeligen Städterin.
Diese Gesundheitsapostel konnten mir nichts vormachen. Ich wusste, welche Selbstverachtung nötig war, um so wie sie auszusehen. Das Triumphgefühl über verlorene zehn Kilo war vor einer Weile rasch zunichtegemacht worden von der Schmach, sie wieder zuzunehmen, plus ein paar Kilo mehr, die nicht auf meinen Hüften saßen, als ich noch dachte , ich sei dick.
Dazu kam die Entdeckung, dass ich mich dünn(er) kein bisschen besser fühlte. Im Gegenteil, dünn fühlte ich mich schlechter, weil ich von ständigem Hunger geplagt wurde – und von der Angst, erneut zuzunehmen. Nach vielen Jahren, in denen ich von meinem Gewicht wie besessen war, wurde mir endlich klar, dass alle, die mich mochten, mich auch mit ein paar Kilos zu viel mögen würden, und für die anderen existierte ich so oder so nicht. Als Frau mittleren Alters war ich ohnehin unsichtbar. Es ist erstaunlich befreiend, sich in einer auf Äußerlichkeiten fixierten Gesellschaft zu bewegen, ohne wahrgenommen zu werden.
Philip und ich, Flüchtige aus dem Land vergnügungssüchtiger Fleischfresser, Koffeinabhängiger und Weintrinker, mussten an der Rezeption schwören, dass wir in unseren Taschen keine unerlaubten koffeinhaltigen Stoffe und Alkoholika mit uns führten. Ich bereute das in der Sekunde.
Das Wellness-Hotel war bekannt für sein einwöchiges Erziehungslager, in dem sich Zwölfstunden-Workouts mit Sinnsuche-Workshops abwechselten.
Ich für meinen Teil kann mir nichts Schlimmeres vorstellen als einen zwanzigjährigen Zehnkämpfer, der mich über einen Hindernisparcours jagt. Der Wellness-Oase hätte ich mich nicht auf hundert Meter genähert, wäre nicht alternativ zum normalen Programm ein »individuelles« Paket angeboten worden, bei dem man
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