Kater mit Karma
dafür hielt, und einen Entschluss gefasst. Dieses Muster war mir von früheren Auseinandersetzungen her vertraut, auch wenn es dabei nur um Banalitäten wie Kleiderfragen gegangen war. Sobald ich erkennen ließ, dass mir der hübsche geblümte Rock gefiel, wollte sie unbedingt den schlichten einfarbigen aus Baumwolle. Je mehr ich auf sie einredete, desto sturer stellte sie sich.
Ein Freund hatte kurz nach ihrer Geburt ein Horoskop für sie erstellt. Er hatte gelacht und gesagt, so etwas hätte er noch nie gesehen. Lydia war Stier, geboren im Jahr des Ochsen und zur Stunde des Ochsen. Ein dreifacher Dickschädel. Er sagte, es wäre vorherbestimmt, dass wir aneinandergeraten.
Ich lief zum Computer und rief Reisewarnungen auf. Nicht gerade eine beruhigende Bettlektüre: »Wegen der anhaltenden Unruhen, der schwierigen Sicherheitslage und des hohen Risikos terroristischer Anschläge wird empfohlen, die Reisenotwendigkeit sorgfältig zu prüfen. Es muss in ganz Sri Lanka, einschließlich des Südens, jederzeit mit Anschlägen gerechnet werden.«
Ich druckte die Warnung zweimal aus und schickte sie Lydia außerdem noch per E-Mail für den Fall, dass sie den Ausdruck ungelesen in den Papierkorb warf.
Zwei Stunden später lagen Philip und ich nebeneinander und starrten die Schatten an der Decke unseres Schlafzimmers an.
»Was meinst du, woher sie das Geld für den Flug hat?«, fragte er.
»Wahrscheinlich von ihrem Vater. Warte mal. Erinnerst du dich an das Geld, das wir ihr zum einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt haben?«
»Du meinst das für die Studienreise nach China, die nie stattgefunden hat.«
»Sie fährt nicht nach Sri Lanka. Ich verbiete es.«
»Das geht nicht«, sagte Philip, die frustrierende Stimme der Vernunft. »Sie ist über achtzehn.«
»Ich verstecke ihren Pass.«
»Das bringt uns auch nicht weiter«, sagte er seufzend.
»Es ist der reinste Selbstmord!«, sagte ich, zog mir die Decke über den Kopf und drehte mich zur Wand. Philip hatte leicht reden, schimpfte ich innerlich. Er hatte sie ja auch nicht neun Monate im Bauch gehabt und mit seiner Milch genährt. Er war nicht einmal ihr leiblicher Vater. Aber das war ein schäbiger Gedanke. Er war zwar Lydias Stiefvater, in seiner Zuneigung hatte er jedoch nie einen Unterschied gemacht. Er liebte sie genauso wie seine leibliche Tochter.
Trotzdem, dachte ich, und die Wut kochte erneut in mir hoch, wieso konnte er nicht ein Machtwort sprechen?
Die Dunkelheit war erfüllt von unausgesprochenen Anschuldigungen.
Ich gab mir die Schuld. Hätten Lydias Vater und ich uns nicht getrennt, wäre sie jetzt nicht so unbesonnen und aufsässig. Andererseits, wären wir zusammengeblieben, wäre jetzt wahrscheinlich einer von uns tot und der andere säße im Gefängnis.
Ich gab Lydia die Schuld. So eine Frechheit, heimlich Flugtickets zu kaufen.
Ich gab dem Mönch die Schuld. Wir konnte er es wagen, meine Tochter auf seine vom Bürgerkrieg zerrissene Insel zu locken?
Ich gab den Reiseberichten im Fernsehen die Schuld, in denen die Dritte Welt wie ein Freizeitpark präsentiert wurde, der Adrenalinschübe in Verbindung mit Extremsportarten, Alkohol und allem anderen bot, worauf die jungen Leute aus Lydias Generation ganz versessen waren.
Aber ich sagte nichts. Philip auch nicht.
Obwohl Philip schwieg, hätte er vermutlich auch ein paar Schuldzuweisungen vorbringen können. Wer hatte Lydia denn überhaupt erst mit diesem Mönch bekannt gemacht?
Er begann diese leisen Schnauftöne zu machen, wie immer, wenn er kurz vorm Einschlafen war. Es machte mich wütend, dass er so friedlich wegdriften konnte.
Mein Gedanken drehten sich im Kreis, während ich wach lag. Ich erinnerte mich daran, dass ich mir geschworen hatte, mich nie so aufzuführen wie meine Mutter damals, als sie mich daran hindern wollte, nach England zu gehen. Und doch lieferte ich mir jetzt einen ähnlichen Machtkampf mit meiner Tochter: ich überzeugt davon, dass sie im Begriff war, ihr Leben kaputtzumachen, Lydia wild entschlossen, sich nicht davon abhalten zu lassen, genau das zu tun.
Andererseits hätte es mich eigentlich nicht überraschen sollen. Lydia entstammte einer langen Reihe willensstarker Frauen, die ihre Mütter auf die eine oder andere Weise auf die Palme getrieben hatten. Meine Mutter war vor ihrer Heirat mit einem anderen Mann »verlobt« gewesen und es hatte einen Skandal gegeben. Ihre Cousine Irene war in den Zwanzigern nach Paris gegangen und hatte nach ihrer Rückkehr mit
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