Kater mit Karma
ich kramte meine Stiefeletten mit den Keilabsätzen hervor. Sie waren so alt, dass ich mich nicht mehr erinnerte, ob ich sie gekauft hatte, als sie das erste Mal in Mode gewesen waren oder im Zuge eines Revivals. Die neue schwarze Samthose machte die abgewetzten, fleckigen Stellen an den Stiefeln wett. Was das grüne Cowboy-Hemd mit den zu Ehren von John Wayne bestickten Schultern betraf, nun, es war das einzige, das einigermaßen gebügelt war.
Jede Frau, die eine Mammographie machen oder sich vom Gynäkologen untersuchen lässt, wird sich für Rock oder Hose und Oberteil entscheiden und nichts Einteiliges tragen. Es stärkt die Verhandlungsposition, wenn man wenigstens die Hälfte seiner Kleidung anbehalten kann. Das John-Wayne-Outfit war ideal.
Probeweise setzte ich den roten Hut auf, mit dem ich meiner Mutter zum Verwechseln ähnlich sah. Wenn ich mich recht erinnere, hatte auch meine Großmutter einen ähnlichen Hut gehabt, die Damenversion des von Winston Churchill und Colin Farrell favorisierten Homburgs. Es gibt nicht viele Hüte, die den Frauen unserer Familie stehen, dank unserer großen Nasen.
Es hat etwas Tröstliches, sich vorzustellen, dass Hunderte von Vorfahren über die Jahrhunderte hinweg dieselbe Hutform trugen. Meine Töchter würden nach ihren Experimenten mit Baretts und Schlapphüten vielleicht auch noch dazukommen. Mir machte es nichts mehr aus, wie eine Kopie meiner Mutter herumzulaufen. Hieß das, ich war endlich erwachsen geworden? Ein grauer Tag konnte einen roten Tupfer brauchen. Für einen Hut musste man allerdings eine Hutfrisur haben. Ich legte ihn zurück auf die Garderobenablage.
Nachdem ich im Wartezimmer die obligatorischen bunten Blätter überflogen hatte, wurde ich von der Röntgenassistentin hereingerufen. »Entspannen Sie sich«, sagte sie und dirigierte mich zu dem Gerät. »Stehen Sie ganz entspannt. Nicht hier. Etwas weiter nach rechts. Lassen Sie die Schultern hängen. Ganz entspannt. ( Konnte sie vielleicht dieses Wort einmal auslassen? ) Ein bisschen weiter vor. Legen Sie Ihren rechten Arm hier oben drüber. Halten Sie sich an dem Griff fest. Nein. Ein Stück zurück. So ist es gut. Ganz entspannt«, sagte sie, während sie meine rechte Brust zwischen zwei pflastersteinähnliche Platten quetschte und ein Müllauto darüberfahren ließ. »Holen Sie tief Luft. Nicht bewegen. Genau so bleiben.«
Diese Prozedur wiederholte sie drei Mal und verschwand. Fünf Minuten später kam sie zurück und entschuldigte sich, die Aufnahmen seien unterbelichtet und wir müssten sie noch mal machen. Ihre Inkompetenz überraschte mich. Vielleicht tat sie aber auch nur so, als wäre sie inkompetent, um mich in falscher Sicherheit zu wiegen. Gleich darauf führte sie mich in den Ultraschallraum.
Anders als die Röntgenassistentin, die praktisch nicht geredet hatte, litt die Ultraschall-Frau an Logorrhö. Sie verteilte angewärmtes Gel auf meinen Brüsten und fuhr mit dem Schallkopf darüber. Normalerweise versuche ich Leute, die dem wissenschaftlich-nüchternen Typ zuzurechnen sind, mit Fragen aus der Reserve zu locken. Aber bei dieser Frau bekam ich kein einziges Wort dazwischen. Sie sprach von ihren Kindern, ihren Enkeln, der Dürre, davon, wo sie wohnte und wie toll es doch war, dass man heutzutage seine Brüste mit Ultraschall untersuchen lassen konnte.
»Sie haben sich eine Belohnung verdient, wenn Sie nach Hause kommen«, plapperte sie weiter. »Ach was, Sie haben sich vier Belohnungen verdient.«
Langsam fragte ich mich, was mit ihr los war. Mit einem Papiertuch wischte sie das Gel von meinen Brüsten, half mir in einen Frotteemantel und schickte mich in den Vorraum.
In engen Räumen kriege ich Beklemmungen. Der Vorraum war leer bis auf einen Stapel Zeitschriften, in erster Linie Einrichtungsmagazine. Während ich die Fotos von strahlend weißen Küchen mit Aussicht auf ein tiefblaues Meer studierte, wurde mir auf einmal bewusst, dass alle anderen Patientinnen inzwischen nach Hause gegangen waren.
Man hatte mich eingeschlossen und vergessen. So hatte ich mich das letzte Mal in der Grundschule gefühlt, als mich ein Lehrer während der Pause in den Kreideschrank sperrte. Meine Lust zu reden hatte mich schon immer in Schwierigkeiten gebracht. Mir wurde langsam unheimlich zumute. Ich wollte nur noch eins: mich anziehen und möglichst schnell raus hier.
»Ach, hier sind Sie!«, rief eine indische Radiologin im weißen Kittel. Mit ernstem Blick eskortierte sie mich durch eine Tür
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