Kater mit Karma
stumme Botschaft an Cleo, falls sie tatsächlich im Katzenhimmel war: Bitte nicht!
Sosehr ich mich auch bemühte, sie zu vergessen, Cleo war überall. Abgesehen von ihren sterblichen Überresten unter dem Seidelbast und den schwarzen Haaren in Wäscheschränken, war ihr Lieblingsplatz im Gras unter der Wäscheleine noch immer an einer kreisrunden kahlen Stelle zu erkennen. Im Haus waren überall Erinnerungen an sie eingegraben wie Kratzspuren. Die Wohnzimmertür trug noch immer die Narben von dem Tag, an dem sie einzubrechen versucht hatte, weil wir uns das Hähnchen vom Schnellimbiss geholt hatten. Wenn ein Schatten über den Küchenboden huschte, musste ich mir jedes Mal sagen, dass das nicht Cleo war. Nach vierundzwanzig Jahren konnte ich zum ersten Mal wieder unbesorgt eine Platte mit Lachs auf der Arbeitsplatte stehen lassen, weil sich niemand darüber hermachen würde. Im Garten und unter dem Haus tummelten sich ungefährdet Mäuse.
Vielleicht hatte meine Nachbarin recht und ich trauerte noch um Cleo. Wenn ich so darüber nachdachte, hatten sich um die Zeit ihres Todes merkwürdige »Symptome« eingestellt. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, kann ich sagen, dass die vergangenen Monate Begriffen wie Flut, Leck, Glühen, Frieren und Schwitzen eine neue Bedeutung verliehen hatten. Ich war zu einem Minikatastrophengebiet mutiert. Ein- oder zweimal hatte ich das Thema Freundinnen gegenüber zur Sprache gebracht, es jedoch auf der Stelle bereut. Sie litten ungleich mehr als ich. Bei einigen von ihnen klang es, als wären sie übergangslos von der Pubertät in die Menopause gerutscht, unterbrochen von ein paar kurzen, blutigen Intermezzi in Form von Geburten.
Trotzdem, ich musste aufhören, mit dem Seidelbast zu reden. Es würde die Runde machen. Über kurz oder lang würden die Leute die Straßenseite wechseln, um mir nicht zu begegnen. Nicht, dass mir das etwas ausgemacht hätte. Wir waren von Anfang an die Sonderlinge in der Straße gewesen. Inzwischen wurde jedes zweite Haus abgerissen und durch eine Scheußlichkeit aus Beton ersetzt. Ich fühlte mich immer weniger wohl hier. Als Irene mir die Pläne für ihr zukünftiges Domizil gezeigt hatte, hatte ich Mühe gehabt, mein Entsetzen zu verbergen. Es würde nicht nur einen vollkommen ungestörten Blick in unseren Garten ermöglichen, sondern mit seinen Säulen und Bögen nahezu alle antiken Kulturen gleichzeitig in unsere Gegenwart versetzen.
Der Drang nach oben, der in unserer Nachbarschaft nicht zu übersehen war, zog mich nach unten. Ich würde nie dünn, jung oder modebewusst genug sein, um dazuzugehören.
Es war an der Zeit für Veränderungen. Einschneidende.
Eine weitere Hibiskusblüte segelte herunter, dieses Mal landete sie direkt in meinem Kaffeebecher. Das war’s! Warum war ich nicht schon viel früher darauf gekommen, es lag doch völlig klar auf der Hand!
Ich rettete die ertrinkende Blüte, warf sie in die Büsche und fischte mein Handy aus der Tasche meiner Jogginghose.
Auf einen Schlag würde ich sowohl dem schrecklichen Anblick von Irenes Designertraum als auch dem jahrelangen Hibiskusblütenzusammenrechen entkommen. Nie mehr würde ich Cleos Pfoten über den Dielenboden tappen hören. Oder über ihre ausrangierten Knautschkissen unter dem Haus stolpern. Was den Seidelbast anging, musste er kein Grabmal mehr geben und durfte wieder zu einem gewöhnlichen Strauch werden.
Philips Stimme sagte, er wäre im Augenblick leider nicht zu erreichen, ich könnte jedoch eine Nachricht nach dem Piepton …
»Wir ziehen um«, sagte ich und drückte mit einem befriedigenden Klicken die rote Taste.
3.
Ankunft
Ein Zuhause ist wie eine zweite Haut. Es braucht Zeit, bis die neue nachgewachsen ist.
»Wer will in einem Haus wohnen, das Shirley heißt?«, fragte Philip und starrte auf das Messingschild neben der Eingangstür.
Ganz ehrlich, manchmal ging er mir wirklich auf die Nerven. Unser altes Haus hatte schneller als erwartet einen neuen Besitzer gefunden. In vier Wochen mussten wir ausziehen. Und er stand hier und nörgelte an einem Namensschild herum.
»Früher hatten viele Häuser Namen«, sagte ich. »Und wenn man einem Haus schon einen Namen gibt, dann kann es auch Shirley sein.«
Es war nicht zu übersehen, dass ihn das Haus auch sonst nicht besonders beeindruckte. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass er gern in etwas Weißes, Modernes gezogen wäre, eine Art Kühlschrank. Stattdessen ragte wie eine Mischung aus Kinderheim und Schloss
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