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Kater mit Karma

Kater mit Karma

Titel: Kater mit Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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Fenster geworfen. Abgesehen davon, dass sich die Fenster nicht öffnen ließen.
    Eine Krankenschwester stellte sich mir als May aus Malaysia vor und ersetzte die Sauerstoffmaske durch kleine Schläuche, einer für jedes Nasenloch – solche, wie Tom Hanks sie hatte, als er in Philadelphia an Aids starb. Sie waren erstaunlich bequem und viel weniger beengend als die Maske.
    »Ist es nicht toll, dass Ihre Tochter hier ist?«, sagte May und kritzelte etwas auf ein Krankenblatt.
    »Lydia?«, flüsterte ich mit dieser lächerlich dünnen Stimme, die nicht mir gehörte.
    »Heißt sie so? Wir fanden diese Gesänge wirklich lustig. Aber ich bin offen für alles. Heilung ist auf viele Arten möglich. Ich finde, es klang gut.«
    »Ist sie denn hier?«
    »Ja, sie sagte, sie wäre aus Sri Lanka gekommen, um Sie zu besuchen. Sie hat Ihnen das hier mitgebracht«, sagte May und deutete auf drei Kerzen in Form von Lotusblüten auf dem Fensterbrett.
    Es war also doch kein Traum gewesen. Lydia war vor einem Monat abgereist, ohne von Rückkehr zu sprechen. Sie musste nach Hause geflogen sein, um bei mir zu sein. Ich war meiner älteren Tochter nicht gleichgültig. Ein neues Gefühl breitete sich in meinem von Schmerzen geschüttelten Körper und vernebelten Gehirn aus. Freude. Reine Freude.
    Lydia war wirklich und wahrhaftig hier, in diesem Krankenhaus. Auf dem Fensterbrett standen drei Kerzen, die es bewiesen.
    »Warten Sie mit dem Anzünden aber, bis Sie wieder zu Hause sind. Offene Flammen sind hier nicht erlaubt. Ach ja, und das da hat sie auch noch mitgebracht …«, fügte May hinzu und hielt eine zur Hälfte mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllte Limonadenflasche hoch.
    »Geweihtes Wasser«, sagte sie mit einem Zwinkern. »Ich würde Ihnen raten, es abzukochen, bevor Sie es in die Nähe Ihres Mundes lassen.«
    »Wo –?«, krächzte ich.
    »Ich habe sie runter in die Cafeteria geschickt«, sagte May. »Sie sah müde aus. Sie kommt bald wieder.«
    In der Tür tauchte Lydias Silhouette auf. Um die Schultern hatte sie einen weißen Schal geschlungen. Mit den langen Ärmeln und dem hochgeschlossenen Kragen sah sie irgendwie viktorianisch aus.
    Das war eine ganz andere junge Frau als Lydia die Sexkolumnistin oder das freche kleine Mädchen, das uns einmal gestanden hatte, Autofahrern von einer Fußgängerbrücke aus seinen nackten Hintern entgegengestreckt zu haben. Sie hatte damals »unpassende Freunde« gehabt, gab jedoch zu, dass sie es aufregend gefunden hatte, nichtsahnende Autofahrer zu erschrecken.
    Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass diese überirdische Gestalt an meinem Bett etwas mit dem lebhaften, eigensinnigen Mädchen zu tun hatte, das sich mit Begeisterung an Türrahmen hochgeschwungen hatte und furchtlos von den Klippen in den Lake Taupo gesprungen war.
    Ich suchte ihr Gesicht nach vertrauten Merkmalen ab – die Windpockennarbe über der rechten Augenbraue, die Ahnung eines Grübchens am Kinn. Es machte mich traurig zu sehen, dass ihre Augen eingesunken waren, ihr Blick verschleiert, wie bei Gandhi nach einem seiner Hungerstreiks. Doch als sie auf mich zukam, erkannte ich wieder die junge Frau, die ich so sehr liebte. Noch nie hatte ich so viel Zärtlichkeit in ihren Augen gesehen.
    »Du bist viel zu dünn«, sagte ich. Das war genau das, was meine Mutter gesagt hätte.
    Lydia schloss einen Moment die Augen, vermutlich, um Verärgerung zu unterdrücken.
    »Ich hab dich lieb«, sagte sie sanft.
    »Ich dich auch«, erwiderte ich und ärgerte mich über mich selbst, weil ich so ungeschickt reagiert hatte. Ich hätte als erstes »Ich hab dich lieb« sagen sollen. Oder wenigstens »Danke«.
    »Hast du Durst?«, fragte sie. Ich nickte. Sie nahm einen Pappbecher vom Nachttisch und schob mir einen Strohhalm zwischen die Lippen. Ich fühlte mich schwach und hilflos, als ich von dem lauwarmen Wasser trank. Lydia hielt den Becher fest, jetzt war sie die Starke, die Ernährerin.
    Ich ließ mich in die Kissen zurücksinken, tausend Fragen lagen mir auf der Zunge. Was hatte sie dazu bewogen, ihren Entschluss, in Sri Lanka zu bleiben, zu ändern? Wann hatte sie den Flug nach Hause gebucht und wer hatte ihn bezahlt? Warum hatte sie so stark abgenommen? War sie krank gewesen oder hatte sie absichtlich gehungert?
    Und noch viel wichtiger, wie weit meinte sie noch gehen zu müssen, um zu beweisen, dass sie eine eigenständige Person war, die in keiner Weise mir »gehörte«? Ich war bereit, meinen Teil der

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