Kater mit Karma
geworden. Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal eine Sonntagnacht durchgeschlafen hatte, wenn am Montagvormittag eine Kolumne fällig war. Es war an der Zeit loszulassen.
Ich rief die Herausgeber aller Zeitschriften an, die meine Kolumne veröffentlichten, und teilte ihnen mit, dass ich eine Auszeit nehmen würde. Was ich damit tatsächlich meinte, war mich zur Ruhe setzen, nur schwang darin etwas von Grabesruhe mit. Ich war gerührt, wie verständnisvoll sie reagierten, und auch von den unzähligen E-Mails von Lesern. Die einzige Verpflichtung, der ich weiterhin nachkommen wollte, war ein monatlicher Artikel für die Zeitschrift Next , die mich gebeten hatte, ein Brustkrebstagebuch zu schreiben.
Louise Thurtell und Jude McGee bei Allen and Unwin, die auf das Cleo -Manuskript warteten, waren mehr als verständnisvoll. Jude hatte vor einem Jahr selbst mit Brustkrebs gekämpft. Sie strich den Termin im September und sagte, ich sollte einfach weiterschreiben, wenn ich mich wieder dazu in der Lage fühlte. Ehrlich gesagt war ich nicht sicher, ob ich es überhaupt jemals zu Ende bringen würde.
An dem Tag, bevor ich ins Krankenhaus ging, suchte ich noch einmal Susan, die chinesische Akupunkteurin, auf. Ihre Nadeln (in Waden, Stirn, Kopfhaut und Ohren) dienten dem Zweck, mir zu Ruhe zu verhelfen und mein Immunsystem zu stärken. Abgesehen von einer tristen Ansammlung vergilbter Schachteln mit Kräutern und der einen oder anderen toten Fliege am Fenster wirkten ihre Räume immer ziemlich leer.
Der Schein trog jedoch. Susan hatte einen steten Strom von Patienten, die hinter einer Reihe geblümter Duschvorhänge auf Liegen lagen. Wir brauchten gar nicht erst zu versuchen, unsere Probleme voreinander verbergen. Durch die Vorhänge hörte man alles mit. Eine alte Frau suchte Hilfe wegen ihrer Arthritis. Ein junger Mann hatte etwas am Rücken, aber es wurde langsam besser. Ich hatte keine Ahnung, was sie mit meinem Krebs anfingen.
»Schließen Sie die Augen und konzentrieren Sie sich auf die Musik«, forderte mich Susan auf und lächelte sanft, bevor sie hinter dem Vorhang verschwand. Ich wartete auf Klänge aus dem alten China und war enttäuscht, als das New-Age-Gedudel ertönte, wie es in jedem x-beliebigen Spa zu hören ist. Im Hintergrund hörte ich das Pling einer Mikrowelle und fragte mich, ob Susan dabei war, exotische Kräuter zu mischen. Das Klappern von Besteck auf Porzellan gab jedoch zu erkennen, das sie zu Mittag aß.
Zwischen Susan und mir entwickelte sich eine Art Freundschaft. Sie freute sich, wenn ich ihr sagte, dass ihre Nadeln eine beruhigende Wirkung hatten (auch wenn ich nach den Anrufen aus Sri Lanka für gewöhnlich auf westliche Schlaftabletten zurückgreifen musste). Susan erklärte mir, ich müsse nach China fahren und darüber schreiben, weil es so ein wunderschönes Land sei. China oder Mastektomie. Schwierige Entscheidung.
Als ich am Tag vor meiner Operation die schmutzige Treppe zu unserem Haus hinaufstieg, sprach ich ein Mantra: Heute habe ich noch Krebs. Morgen nicht mehr, mit etwas Glück.
Am Abend gingen Philip, Katharine und ich in einem Restaurant in der Nähe essen. Natürlich tranken wir auch Champagner. Wir lachten, als der Kellner unser Tischtuch mit Schokoladensoße bekleckerte. Das Leben schien wunderbar einfach, ein Fest.
Aus den Lautsprechern kam eine vertraute Melodie – »Von nun an gibt es kein Zurück« aus Phantom der Oper . Ich hatte dieses Lied noch nie gemocht. Jetzt erinnerte es mich daran, dass ich auch nicht mehr zurückkonnte. Der Operationssaal war reserviert, die Chirurgen gingen vor ihrem großen Auftritt früh ins Bett (hoffte ich jedenfalls). Kein Essen mehr nach Mitternacht. In ein paar Stunden würde ich meinen Körper Fremden anvertrauen. Ich war nicht tapfer, lediglich erfahren genug, um zu akzeptieren, dass ich keine Alternative hatte.
Wieder zu Hause, legte ich das, was ich am nächsten Tag anziehen wollte, zurecht – schwarze Hose, grünes Hemd und die Stiefeletten mit den schiefgetretenen Absätzen. Kein Hut. Das Gleiche, was ich bei meinem ersten Besuch in der Klinik getragen hatte. Die drei blauen Nachthemden und mein Kulturbeutel waren bereits eingepackt, aber bestimmt hatte ich irgendetwas vergessen.
Ich warf einen Blick auf die Uhr, die auf dem hübschen neuen Nachttischchen stand. Fünf vor zwölf. In Sri Lanka wahrscheinlich mitten am Nachmittag. Ich nahm eine Schlaftablette. Atmen. Entspannen. (Ich hasse
Weitere Kostenlose Bücher