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Kater mit Karma

Kater mit Karma

Titel: Kater mit Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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Vereinbarung einzuhalten und sie zu ihren eigenen Bedingungen ins Erwachsensein zu entlassen. Wann würde sie begreifen, dass sie sich nicht mehr gegen mich auflehnen musste?
    Der einzige Satz, den ich in meiner Erschöpfung zustande brachte, war: »Wann bist du gekommen?« Eine dumme Frage, aber die Gedanken rutschten in meinem Kopf herum wie Pudding.
    »Vor ein paar Stunden. Ich bin direkt vom Flughafen hierhergefahren.«
    Die Schläuche um meine Beine zischten. Über meinen Kopf senkte sich wieder eine Nebelwolke.
    »Kann ich noch ein bisschen singen?«, fragte sie leise.
    Ich war nicht besonders scharf darauf. Nicht, wenn sich die Krankenschwestern darüber lustig machten. Sie sollten auf meiner Seite stehen und nicht Witze über unsere verrückte Familie reißen.
    Mum und Dad hatten uns im Geist der Church of England großgezogen, aber auf dem Krankenhausformular hatte ich »Keine Religionszugehörigkeit« angekreuzt. Als eine Seelsorgerin den Kopf durch die Tür gesteckt und gefragt hatte, ob ich vor der Operation mit ihr beten wolle, hatte ich sie weggeschickt. Ihre angespannte Miene deutete darauf hin, dass sie zu viele Stunden damit verbracht hatte, vor dem Spiegel einen mitfühlenden Gesichtsausdruck zu üben.
    Zu müde, um Worte in sinnvoller Reihenfolge aneinanderzufügen, nickte ich nur. May lächelte und sagte, sie käme in ein paar Minuten wieder.
    Meine Tochter setzte sich auf den Stuhl, schloss die Augen und holte tief Luft. Zuerst fand ich es unangenehm, beinahe nervig. Die Worte waren mir völlig fremd. Sie hätten alles bedeuten können. Nichtsdestoweniger schwang etwas Gütiges darin mit. Und zweifellos hatten sie einen Sinn für Lydia. Sie glaubte an ihre Bedeutung, ihre Kraft. Ich ließ den Gesang über mich hinwegspülen wie Wellen an einem windigen Strand … und schlief ein.
    Ich hätte Stunden schlafen können, sogar Tage, wenn man mich gelassen hätte. Aber May weckte mich jede halbe Stunde auf, um meine Vitalfunktionen zu überprüfen und die neue Brust unter den Verbänden nach einem Puls abzuhören. Irgendwann im Lauf der Nacht sagte sie, ich hätte zu niedrigen Blutdruck und Fieber. Es war mir egal. Ich wollte nur schlafen. Als ich den Kopf zum Fenster drehte, sah ich Lydias Silhouette, gerade aufgerichtet und bewegungslos. Es war nicht notwendig, sie zu beruhigen oder zu unterhalten. Sie meditierte.
    Die Nacht schleppte sich gefühlte Wochen dahin. Ich sehnte mich nach Schlaf. Gegen Morgen halluzinierte ich, ich wäre Kriegsgefangene. Jedes Mal, wenn ich wegdämmerte, piksten mich Soldaten mit Spießen. May war jedoch eine sehr fürsorgliche Schwester und eher ein Engel als eine Gefängniswärterin. Jedes Mal wenn ich zum Fenster sah, war Lydia da, schweigend und reglos, ohne etwas von mir zu wollen. Ihre ständige Anwesenheit gab mir Kraft. Alle Zweifel, die ich an ihren Gefühlen für mich gehabt hatte, schmolzen in der trockenen Krankenhausluft dahin.
    Im Krankenhaus verliert Zeit jegliche Bedeutung. Die Welt draußen löst sich ab. Eine Pflegeschicht folgt der nächsten. Regen lässt schwarze Diamanten gegen die Fensterscheiben prasseln – aber nicht genug, um der Dürre ein Ende zu bereiten. Der dunkle Himmel färbt sich grau.
    Mit einem Schlag erwachte das Krankenhaus. Hastige Schritte, klappernde Bettpfannen und das Geschnatter der Schwestern erweckten den Tag zum Leben. Draußen auf dem Korridor wurden Patienten, Essen und medizinische Ausrüstung an meinem Zimmer vorbeigerollt. Eine mürrische junge Frau aus Osteuropa ließ ein Frühstückstablett auf das Tischchen vor mir plumpsen. Cornflakes in einer Plastikschüssel und ein Teebeutel. Da sich meine Arme und Beine außer Betrieb befanden, waren selbst die einfachsten Verrichtungen praktisch unmöglich. Lydia hob den Löffel an meine Lippen, dann hielt sie mir die Tasse an den Mund, damit ich den Tee schlürfen konnte.
    Sie wirkte erschöpft. Ich drängte sie, nach Hause zu fahren und sich auszuruhen. Sie drückte ihre Wange an meine. Plötzlich erinnerte ich mich an die Frage, die ich ihr eigentlich stellen wollte. Eine einfache Frage, aber bedeutungsschwer.
    »Wie lange bleibst du hier?«
    Die Schläuche um meine Beine zischten und seufzten. Falls sie vorhatte, am nächsten Tag wieder abzureisen, würde es mir das Herz brechen.
    »So lange du mich brauchst«, sagte sie.
    Mein Kopf sank aufs Kissen zurück. Das war alles, was ich hören wollte.
    In den darauffolgenden Tagen füllte sich mein Zimmer mit Blumen. Ich war

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