Kater mit Karma
Medikamente im Krankenhaus.
Steve antwortete nicht auf mein Dankesschreiben, aber wir konnten nie gut miteinander kommunizieren.
Es fiel mir schwer, mich daran zu gewöhnen, dass ich nicht staubsaugen, nicht mehr als ein Kilo tragen, nicht Auto fahren und nichts vom Boden aufheben durfte.
»Du sollst dich nicht so weit vorbeugen«, schimpfte Lydia, als ich mich bückte, um einen Umschlag aufzuheben. Ihr Ton war von mütterlicher Schärfe. Das Machtverhältnis hatte sich umgekehrt.
Ein Patient ist mit guten Grund nach dem lateinischen Wort für Geduld benannt. Nach der Operation hatte ich rasch Fortschritte gemacht. Im Krankenhaus war ich eines Morgens aufgewacht und konnte plötzlich zum Klo schlurfen. Sobald ich zu Hause war, ging alles viel langsamer. An manchen Tagen musste ich sogar Rückschläge hinnehmen. Ein gemeinsames Pizzaessen mit Rob und Chantelle war besonders qualvoll. Ich hatte vergessen, das »Korsett« des Chirurgen anzulegen, das die grinsende Naht an meinem Bauch zusammenhielt. Wir verbrachten einen netten Abend miteinander, aber am nächsten Tag war ich fix und fertig. An einem anderen Abend sah ich mir mit Katharine Dr. Who an, eine Wärmflasche auf dem Bauch. Ich hatte vergessen, dass ein breiter Streifen Haut gefühllos war. Am nächsten Morgen war er feuerrot und wurde von zwei großen Blasen geziert.
Zu anderen Zeiten fühlte ich mich viel besser, wie an dem Tag, an dem ich Lydia bat, bei der Drogerie vorbeizufahren und Enthaarungswachs zu kaufen. Als hätte ich mich freiwillig für noch mehr Schmerzen gemeldet.
Meine Freude über den Besuch meiner Schwester Mary war unbeschreiblich. Die dunkelbraunen Locken aus ihrer Kindheit waren inzwischen heller geworden und wurden durch regelmäßige Besuche beim Friseur gezähmt. Sie hatte die Kleinstadt, in der wir aufgewachsen waren, nie verlassen und wirkte nach außen hin konservativ, war dabei aber erstaunlich weltoffen. Mit ihrem Mann Barry hatte sie drei Kinder großgezogen und nebenher als Aushilfslehrerin an der Grundschule gearbeitet. Aus ihren Schülern waren Polizisten und Autodiebe geworden, Opernsänger und Optiker. Es gab nicht viel, was ihr fremd war.
Manche Leute bauen mit jedem Lebensjahrzehnt ab – und das nicht nur körperlich. Enttäuschung setzt sich in ihnen fest und lässt sie bitter werden. Mary gehört zu jener seltenen Sorte von Menschen, die von Jahr zu Jahr schöner werden, ohne etwas dafür zu tun. Der sanfte Ausdruck ihrer haselnussbraunen Augen war im Lauf der Zeit immer intensiver geworden. Nach ihrem Kampf gegen den Brustkrebs hatte sie akzeptiert, dass das Leben zwar nicht perfekt war, aber immer noch ziemlich gut. Ich hatte sie dabei beobachtet, wie sie sich über einen Sonnenstrahl auf dem Wasser freute oder über das leuchtende Blau einer Hortensie. Sie hatte gelernt zu leben.
Anders als ich und unser Bruder Jim war Mary immer die Stille gewesen. Man sollte meinen, dass ein zurückhaltender Mensch in einem Haushalt von Großmäulern untergeht, aber das Gegenteil war der Fall. Wann immer Mary ihre ruhige, feste Stimme erhob, hörten wir ihr zu. Das ist bis heute so.
Als sie mich in die Arme schloss, war ich wieder die kleine Schwester, geborgen in ihrer Umarmung. Jetzt konnte mir nichts mehr passieren. Sie roch nach zu Hause.
Marys heitere Präsenz im Haus in den folgenden Tagen war die reinste Medizin. Außenstehende hätten vielleicht zwei gesetzte Damen mittleren Alters gesehen, die in alten Fotoalben blätterten und Tee tranken. Im Inneren waren wir jedoch die kleinen Mädchen, die wir immer gewesen sind – Mary, klug und zurückhaltend, ich begierig nach ihrer Anerkennung.
Jeden Tag schleppte ich mich einmal um den Block, versuchte jedes Mal ein bisschen weiter zu gehen. Sobald ich Stufen hinauf- oder hinuntersteigen musste, hörte ich geradezu, wie meine Stiche »Neeeeein!« kreischten. Auf dem Rückweg von einem Fünfhundert-Meter-Marathon trafen wir Patricia, die ein paar Häuser weiter wohnte. Kurz nach unserem Einzug hatte Patricia sich vorgestellt und erklärt, sie sei nicht sehr gesellig und würde es vorziehen, nicht auf eine Tasse Tee ins Haus gebeten zu werden. Ich respektierte das und hatte versucht, ihr aus dem Weg zu gehen. Das Schicksal war uns jedoch nicht wohlgesinnt gewesen und hatte dafür gesorgt, dass wir uns dauernd begegneten – im Supermarkt, an der Ampel beim Warten auf Grün. Erneut in der Falle sitzend, fragte ich sie, wie es ihr ginge. Nicht besonders, erwiderte sie.
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