Kater mit Karma
Eine Frauensache.
Ich hoffte, sie würde nicht zu ausführlich darauf eingehen. Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Als sie sich nach meiner Gesundheit erkundigte, zögerte ich. Wenn ich ihr von meiner Mastektomie erzählte, könnte man meinen, ich versuchte mich in den Vordergrund zu drängen, deshalb sagte ich nur: »Gut.«
Patricia strahlte meine Schwester an und sagte: »Sie sieht immer gut aus, nicht wahr?« Dann ging sie weiter.
Hin und wieder erklärte Mary, ich würde einen müden Eindruck machen, und nutzte die Gelegenheit, um mit der Straßenbahn in die Stadt zu fahren oder einen Spaziergang zu unternehmen. Ich befürchtete, dass sie sich langweilte, aber sie versicherte mir, sie könne sich wunderbar allein unterhalten. Am letzten Tag ihres Besuchs bei uns kehrte sie mit funkelnden Augen von einem Ausflug zurück.
»Was ist?«, fragte ich.
»Ich weiß nicht, ob ich es sagen soll«, erwiderte sie mit einem kryptischen Lächeln.
Diesen Gesichtsausdruck kannte ich von früher. Das vertraute »Ich weiß, was du zu Weihnachten kriegst«-Lächeln.
»Komm schon! Raus mit der Sprache.«
Lydia hörte auf, mit den Tellern im Spülbecken zu klappern, und legte den Kopf schief.
»Ist es ein Geheimnis?«, fragte sie.
»Nein«, erwiderte Mary. »Oder doch, es sollte eins sein. Na gut, ich sag’s euch, schließlich hast du geschworen, dir nie wieder eine Katze zuzulegen.«
»Darauf kannst du dich verlassen.«
»Also gut«, sagte Mary mit wachsendem Eifer. »Ich habe gerade in der Tierhandlung ein unglaublich niedliches Siamkätzchen gesehen.«
Meine Schwester ist das, was man als die Ruhe in Person bezeichnet. Es gibt wenig, was sie ärgert oder in Begeisterung versetzt. Wenn es doch einmal geschieht, dann hat es einen guten Grund. In diesem Moment funkelten ihre Augen geradezu vor Aufregung.
»Was hast du denn in der Tierhandlung gemacht?«
»Ich bin zufällig vorbeigekommen und da habe ich ihn gesehen. Na ja, jedenfalls denke ich, dass es ein Er ist. Er ist wirklich etwas Besonderes!«
Eine andere Eigenschaft von Mary ist ihr sicherer Blick. Sie hat einen zurückhaltenden, dabei aber außergewöhnlich guten Geschmack. Wenn sie eine Katze auch nur ansatzweise niedlich fand, dann musste diese nach den Maßstäben jedes anderen anbetungswürdig sein.
Trotzdem befand ich mich auf sicherem Boden. Ich hatte nicht die Absicht, mir wieder eine Katze ins Haus zu holen. Überdies hatten mich Siamkatzen nie besonders angesprochen. Die, denen ich begegnet war, waren zwar ganz hübsch anzusehen gewesen, aber viel zu selbstverliebt und wehleidig.
Falls ich mir jemals eine neue Katze zulegen würde – was ich nicht tun würde –, dann einen Mischling wie Cleo, am liebsten aus dem Tierheim. Und gesetzt den unwahrscheinlichen, praktisch auszuschließenden Fall, dass ich über eine neue Katze auch nur nachdenken würde, dann wäre es garantiert keine aus einer Tierhandlung. Ich wusste zwar nicht viel darüber, aber ich hatte gehört, dass es Hunde- und Katzenzüchter gab, die in ihren Hinterhöfen wahllos Tiere züchteten, um sie an skrupellose Tierhandlungen zu verkaufen.
Keine noch so »niedliche« Siamkatze würde mich um ihre kleine Pfote wickeln. Ich war absolut immun. Andererseits fühlte ich mich im Moment gerade kräftig genug für einen Ausflug. Eine kurze Spazierfahrt zur Tierhandlung wäre lustig und halbwegs zu bewältigen, bevor ich wieder ins Bett kroch.
Ich zog mich unter Mühen an, steckte die Drainageflasche in meine Jackentasche, stülpte mir eine selbstgestrickte Mütze über und humpelte zum Auto. Lydia verstaute mich fürsorglich auf dem Beifahrersitz und fuhr mit Mary und mir los. Direkt vor der Tierhandlung war ein Parkplatz frei. Leicht gebeugt trat ich zwischen Schwester und Tochter durch die Tür.
Wenn es ein Gegenstück zu einer Krebsstation gibt, dann ist es eine Tierhandlung. In dieser quirligen Kinderstube des Lebens vermischte sich der Geruch von feuchtem Zeitungspapier und Sägemehl mit dem von Vogelfutter und etwas, das vage nach Fleisch roch. Wellensittiche kreischten, Kanarienvögel trillerten, Welpen jaulten. In Aquarien schossen Fische wie neonfarbene Blitze hin und her.
Unsere Aufmerksamkeit richtete sich schon bald auf einen etwa zwei Meter hohen Käfig in der Mitte des Geschäfts. Auf einem Zettel an der Tür stand: »Burma- und Siamkatzen. Bitte nicht durch’s Gitter fassen. Krankheit’s-Übertragung.«
Ich bin eine unverbesserliche Apostroph-Pedantin.
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