Kater mit Karma
mich Schwester May wieder aus dem Bett und begleitete mich zur Dusche. Sie sagte, sie habe am Abend zuvor im Badezimmer die Angst in meinen Augen gesehen, aber heute sei ich einen entscheidenden Schritt weiter. Als May sagte, sie möge den Geruch meiner Handcreme, nahm ich mir vor, ihr eine davon zu schicken, sobald ich wieder zu Hause war. Ich stellte mir vor, dass wir Freundinnen werden könnten, aber bei Krankenschwestern wusste man nie.
Welche Schmerzen verwundete Soldaten gelitten haben mussten, jung und verängstigt und die Körper von Schüssen durchlöchert. Bestimmt waren sie alle in eine Krankenschwester verliebt gewesen. Ich war ja selbst ein bisschen in sie verliebt, zumindest in die kompetenten. Gute Krankenschwestern sind Engel, freundlich und stark. Ich bewunderte die Behutsamkeit und Kraft, mit der sie mich hochhoben, um mein Kissen aufzuschütteln, oder mir halfen, durchs Zimmer zu schwanken.
Schon bald würde ich jedoch ohne sie auskommen müssen. Sehr bald.
14.
In die Falle getappt
Schwöre nie, dass du dir niemals eine neue Katze zulegen wirst.
Als ich mich an Philips Arm geklammert die Krankenhaustreppe hinunterschleppte, erwartete mich eine knallbunte Welt. Die winterlich grauen Straßen und Bürgersteige pulsierten vor Leben. Das Rot eines Werbeplakats leuchtete so grell, dass ich wegsehen musste. Vielleicht hatte der Aufenthalt im Krankenhaus meine Sinne geschärft. Oder ich hatte vorher nicht darauf geachtet, wie bunt das Alltagsleben war.
Lydia und Katharine liefen wie aufgeregte Brautjungfern hinter uns her und trugen mein Gepäck und was von den Blumen übrig war.
Ich fühlte mich noch nicht bereit, nach Hause entlassen zu werden. Mein Bauch war geschwollen und ich schleppte einen Drainageschlauch mit mir herum, der irgendwo unter meinem rechten Rippenbogen steckte und an dem eine christbaumkugelähnliche Flasche befestigt war. Ich wäre lieber im Krankenhaus geblieben, bis das Ding entfernt wurde. Aber die Schwestern hatten es mir klipp und klar gesagt. Wenn ich darauf bestand, weiterhin in ihren sauerstoffarmen Korridoren herumzulungern, würde sich keiner mehr um mich kümmern. Es gab neue Patienten zu versorgen.
Sechs Nächte im Krankenhaus waren eigentlich auch genug: das Essen, die Geräusche, das scheußliche Bild. Vermutlich schwebte die fast sieben Zentimeter große, hochgradig verkrebste Geschwulst, die man aus meiner rechten Brust entfernt hatte, jetzt irgendwo zwischen den Wolken über uns, vermischte sich mit anderen Teilchen und war im Begriff auf die Stadt herunterzunieseln. Nüchtern betrachtet hatte ich eine schicke neue Bauchspeck-Brust und eine dazu passende verkleinerte und angehobene linke Brust. Irgendwo unter den Verbänden und Schwellungen steckte eine neue Frau. Aber ich war eine Patchworkdecke und fühlte mich wie ein Wrack.
Auf der Heimfahrt verzichtete Philip auf seine gewohnte Römischer-Taxifahrer-unter-dem-Einfluss-von-Steroiden-Fahrweise und fuhr so vorsichtig, als wäre unter der Motorhaube eine Bombe angebracht.
Als er in unsere Einfahrt bog, blickte ich an Shirley hoch. Es tat gut, das alte Mädchen wiederzusehen. Bislang war mir die kleine Steigung zur Eingangstür kaum aufgefallen. Heute kam sie mir wie der Anstieg zum Basiscamp des Mount Everest vor. Meine Lunge ächzte und keuchte, als ich mich über den gepflasterten Weg schleppte und dabei in einem diskret versteckten rosa Zugbeutel Flüssigkeit hin und her schwappte. Ich fühlte mich wie ein abbruchreifes Gebäude. Ein kleiner Stupser gegen das Fundament und ich würde zusammenbrechen.
Es war schön, wieder zu Hause zu sein, aber auch beängstigend. Der Tisch war gedeckt, allerdings fehlte etwas. Ich sah Teller und Messer, aber keine Gabeln. Mein altes Ich wäre in die Küche geeilt und hätte die Gabeln aus der Schublade geholt, bevor jemand bis drei gezählt hätte. Jetzt konnte ich mich bloß hinsetzen und darauf warten, dass es jemand merkte und sich darum kümmerte. Sie merkten es nicht.
»Gabeln«, krächzte ich mit meiner postoperativen Stimme.
Es entstand eine Pause. Sie rührte von all den Jahren her, in denen ich gesprungen war, um einzugreifen, bevor etwas schiefgehen konnte. Muttersyndrom. Wann fängt es an? Vermutlich gleich nach der Geburt, wenn eine Frau ihr Baby zum ersten Mal sieht und sich wie eine Göttin fühlt. Gebären ist der ultimative Schöpfungsakt. Kein Wunder, dass Mutter Erde die erste Gottheit war. Sie schenkte den Dingen Leben und ließ sie wachsen. Die
Weitere Kostenlose Bücher