Kater mit Karma
Kater sehnten sich nach wie vor nach Freiheit. Lydia zog es zurück in ihr Kloster. Jonah wollte die Straße hinunterrennen. Beide waren blind für die lauernden Gefahren. Daher war ich nicht bereit, ihnen ihren Wunsch zu erfüllen – wenigstens noch nicht.
Ich hatte gehofft, dass Jonah irgendwann dieselbe Schlauheit an den Tag legen würde, mit der Cleo bereits auf die Welt gekommen war. Cleo hatte ihr ganzes Leben neben vielbefahrenen Straßen gewohnt und einen siebten Sinn für die Gefahren des Verkehrs gehabt. Jonah dagegen hielt das Versteck hinter den Reifen eines geparkten Autos für den sichersten Platz der Welt.
Während seiner Testphase als Freigänger erwies sich Jonah als Nervenprobe für andere und Bedrohung für sich selbst. Er konnte auf alles hinaufklettern, sei es ein Baum oder ein Laternenpfosten, aber beim Herunterkommen gab es regelmäßig Probleme.
Eines Tages klopfte ein Nachbar an unsere Haustür, um uns mitzuteilen, dass unser Kater auf seinem Dach festsaß. Freundlicherweise stellte er Lydia und Katharine eine Leiter zur Verfügung, mit deren Hilfe sie Jonah aus seiner misslichen Lage befreien konnten.
Ein anderes Mal brachte ihn eine andere Nachbarin nach Hause, zitternd in ihren Armen, nachdem er sich mit ihren beiden schwarzen Katern angelegt hatte. Ich hatte diese beiden Monster schon öfter die Straße entlangpatrouillieren gesehen. So groß wie kleine Panther, stellten sie die örtliche Katzenmafia dar. Die Nachbarin erzählte, die beiden hätten Jonah in die Enge getrieben und sie habe ihn gerade noch retten können. Er könne von Glück reden, sagte sie, dass er noch beide Augen habe.
Jonahs Versuche, Vögel zu erlegen, waren ein Trauerspiel. Kaum erblickte er eine Taube, erstarrte er und ließ sich auf den Boden sinken. Langsam näher rückend, folgte er jedem ihrer Trippelschritte und jedem Kopfnicken, bis er fast mit seiner Beute verschmolz.
Seine Tarnfarbe ermöglichte Jonah, die gesamte Vogelwelt zu terrorisieren – bis er das Maul öffnete und ein lautes »Heh! Heh!« von sich gab, so dass die Taube Gelegenheit hatte, ihr Gefieder glattzustreichen und nach ein paar tadelnden »Gru-grus« über den Zaun davonzuflattern.
Was das jeder anderen Katze angeborene Talent, mühelos über Zäune zu balancieren, anging, war Jonah ein hoffnungsloser Fall. Die Vögel lachten ihn jedes Mal aus, wenn er es versuchte. Die linke Vorder- und Hinterpfote auf der Oberkante der Latten, die Pfoten der rechten Seite über den Querbalken nachziehend, humpelte er daher wie ein zweibeiniger Mutant.
Jonah besaß glasfaserfeine Nerven. Beim kleinsten Geräusch zuckte er zusammen und warf sich auf den Boden. Das Zuschlagen eines Mülleimerdeckels veranlasste ihn, eiligst in Deckung zu gehen.
Hundegebell hingegen kam einem Schlachtruf gleich. Egal wie groß und gefährlich ein Hund war, Jonah griff ihn mit wehendem Schwanz an, überzeugt, sein Gegner würde allein unter seinem glühenden Blick zusammenbrechen.
Vom Kämpfen selbst hatte er keine Ahnung und hing eher höfischen Idealen der Kriegsführung an. Dazu gehörte lautes Miauen und Herumstolzieren; seine Klauen fuhr er hingegen nie aus. Seine Taktik erschöpfte sich in psychologischer Kriegsführung, ein stahlharter Blick musste genügen, um dem Feind klarzumachen, dass er absolut unwürdig war und besser daran tat, sich zu schleichen.
Ständig befanden wir uns auf Jonah-Safaris, spurteten an Katze-vermisst-Zetteln die Straße entlang, riefen seinen Namen, durchkämmten heimlich die Gärten der Nachbarn. Gelegentlich konnte man ihn ohne größere Umstände wieder einfangen, aber die meiste Zeit ließ er sich erst dazu herab, sich in den Schoß der Familie zurückzubegeben, wenn wir alle eine gute halbe Stunde herumgerast waren.
Trotz all seiner Freiheitsbestrebungen war er jedoch hoffnungslos anhänglich. Immer stand er im Fenster und wartete darauf, dass wir nach Hause kamen, und er war der Erste an der Tür, der Philip und die Mädchen begrüßte. Als wir ihn einmal übers Wochenende in eine Katzenpension brachten, weil wir uns die Räumlichkeiten für die Hochzeitsfeier von Rob und Chantelle ansehen wollten, ging es ihm elend. Vivienne, eine der Betreuerinnen, hatte Jonah ins Herz geschlossen. Sie erzählte uns, sie habe eine Stunde am Tag mit ihm gespielt und er habe sie mit seinen Kapriolen ständig zum Lachen gebracht. Vivienne war eine ruhige, sanftmütige Frau. Ich mochte sie auf Anhieb. Mit einer gewissen Sorge berichtete sie,
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