Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold
mehreren Anwesenden im Raum teilte. Anders als bei ihm war sie bei jenen allerdings temporärer Natur. Wann Reiner dagegen das letzte Mal völlig nüchtern gewesen war, daran konnte sich keiner mehr erinnern.
Er wankte zum Tresen und ließ seinen Oberkörper auf einen Barhocker fallen. »Wo ist der Chef?«
Im Durchgang zur Küche erschien ein dunkelhaariges Mädchen mit einem Stapel frisch abgewaschener Aschenbecher im Arm. Estrella war der neue Stern am Firmament des Katinkas, obwohl ihr Strahlen an diesem Abend gedämpft wirkte und angesichts des neuen Gastes völlig erlosch.
»Du hast Hausverbot«, sagte sie. »Was gibt’s?«
»Ich will den Chef sprechen!«
Estrella warf Reiner einen unschlüssigen Blick zu. Dann stellte sie die Aschenbecher auf dem linken Rand des Tresens ab, ging zum Kühlschrank, nahm eine Flasche Mineralwasser heraus, öffnete sie und stellte sie ihm vor die Nase. »Jürgen ist nicht da. Sag mir, was ich ihm ausrichten soll, und verschwinde. Ich kriege Ärger, wenn er hört, dass ich dich bedient habe. Und pass auf, dass du nicht alles volltropfst.« Sie zeigte vorwurfsvoll auf den Fleck, der sich auf dem Holz des Tresens um Reiners Ellbogen herum gebildet hatte. Reiner glotzte die Pfütze an und schnaufte.
Sein Ruf ging ein gutes Stück über die Grenzen des Viertels hinaus. Tagsüber sang Reiner in der Einkaufsmeile zur Gitarre. Sein Repertoire erschöpfte sich im Großen und Ganzen in Reinhard-Mey-Liedern, was ihm seinen Namen eingetragen hatte, und der Umstand, dass er sich auch äußerlich bemühte, seinem Idol gerecht zu werden, hatte in der Vergangenheit manch älterer Touristin die Tränen in die Augen getrieben.
»Ich habe Sie damals in der Deutschlandhalle gesehen. Ich war Ihr größter Fan«, hatte mal eine geschluchzt und ihm einen Zehneuroschein in die Hand gedrückt. Vielleicht hätte es sie gefreut zu hören, dass ihr Obolus dem Doppelgänger ihres Idols geholfen hatte, seine Stimme für den nächsten Tag zu ölen.
Jürgen hatte im Grunde nichts gegen Reiner. Mittags, wenn der Sänger nur mit seinem Frühstücksbier im Magen der Arbeit zustrebte, holte er ihn manchmal auf einen Kaffee herein. Aber wenn Reiner seinen Pegel erreicht hatte, wurde er zanksüchtig. Er ging die Gäste um Zigaretten an, und wenn er keine erhielt, begann er zu randalieren. Oder zu singen, was beinahe noch schlimmer war.
»Hast du eine Zigarette?«
Estrella sah flüchtig zum Durchgang. »Aber nur eine. Und rauch sie hier hinten.« Sie zog eine f6 aus der Schachtel, die Jürgen unter dem Tresen aufbewahrte. Mit zitternden Fingern zündete Reiner sich die Zigarette an.
»Also, was ist?«
»Hinter eurem Schuppen liegt eine Leiche.«
Estrellas bronzener Teint wechselte ins Gräuliche.
»Hinter welchem Schuppen?«
»Hinter diesem Schuppen.« Reiner nippte an seinem Wasser und schob es angewidert von sich. »Ich hab’s gesehen, asichnahausewollte.« Nach kurzer Überlegung zog er die Flasche wieder zu sich heran und nahm einen kräftigen Schluck. Dann hob er bedeutungsvoll einen Finger und wiederholte: »Als ich nach Hause wollte.« Seine Wohnung lag in einem Hinterhaus unweit des Katinkas. Wenn Reiner besoffen war, nahm er oft die Abkürzung über den Hof der Bar.
Zerstreut tippte Estrella ein paar Aschekrümel von der Tresenplatte. »Du spinnst.«
Neben Reiner tauchte ein junger Mann auf. Er war in Begleitung eines Mädchens, das schon ein bisschen wacklig auf den Beinen zu stehen schien.
»Zahlen, bitte.«
Mit einem Ruck kam Estrella zu sich. »Der Tisch links neben der Tür?«
Verträumt nickte der Junge ihrem Dekolleté zu.
»Auf dem Hof liegt eine Leiche«, sagte Reiner zu ihm.
»Drei Beck’s, drei Chianti, eine Mary«, zählte Estrella auf. »Reiner, lass die Gäste in Ruhe.«
»Echt?«, fragte das betrunkene Mädchen.
Reiner wandte ihr sein Gesicht zu. »So wahr ich hier sitze.«
Mit einem lauten Plong ließ Estrella die Kasse aufspringen.
»Ich hab mal einen Film gesehen, in dem eine Leiche auf dem Hof lag«, sagte das Mädchen träge. Es zog die Brauen zusammen. »Hab vergessen, wie er heißt. Weißt du’s?«, wandte sie sich an ihren Begleiter.
Der Junge schüttelte den Kopf und fuhr fort, den ausgeschnittenen Vorhof von Estrellas Privatsphäre anzuhimmeln.
»27,90«, sagte Estrella. Sie riss die Rechnung ab, strich sie leicht gegen ihren Busen und gab sie dem Jungen. Der Junge nahm sie ehrfürchtig entgegen.
Als die beiden gegangen waren, wandte sie sich Reiner zu,
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