Katerstimmung (German Edition)
gewartet hätten. «Gehirn! Denk, was du willst, wir wollen hier weg! Gib uns den verdammten Befehl zum Rennen!», schreien meine Beine. «Okay.»
Ich reiße meinen Kopf aus der Durchreiche und hechte zur Tür. Drüben herrscht der Geräuschkulisse nach auch Aufbruchsstimmung. Klingt irgendwie unangenehm nach Waffen. Die sahen schon so aus, als ob sie schwieriger durch den Metalldetektor kommen als R2D2. Wieso kann man Konflikte nicht einfach mit Schnick-Schnack-Schnuck lösen? Oder wenigstens mit Tomaten?
Ich rase wild fuchtelnd auf die Mülltonne zu. Die drei Zuschauer dahinter bleiben ruhig und halten das für eine Szene, die man eben erst im Nachhinein versteht. Wie Rückblenden in anspruchsvollen Filmen. Das ist aber kein anspruchsvoller Film, sondern knallharte Action. Auf ProSieben hieße der Streifen hier Escape – Renn um dein Leben , auf RTL II Drug Attack – Angriff der Killerdealer und bei SAT.1 Das große Promistrandrennen mit Hugo Egon Balder und Hella von Sinnen .
Als meine Verfolger ins Bild kommen, begreifen Carlos, Lenny und Wilhelm endlich den Ernst der Lage. Vorher dachten sie vermutlich, ich wolle Räuber Hotzenplotz auf Speed mimen.
«Zur Unterführung», schreie ich, denn schon nach wenigen Metern Strandlauf ist mir eines klar: Rafael Nadal mag auf Sand Weltklasse sein, ich bin da eher der Boris Becker.
«Joder tío», schnaubt Carlos mit gefühlter 100-Kilo-Kamera auf der Schulter. Ich deute es als Unmutsäußerung. Gerne würde ich ihn bitten, weiter alles aufzunehmen. Aber die Passagiere der Titanic haben sich ja auch nicht an die Reling gestellt und den Eisberg fotografiert.
«Alter – und jetzt?», brüllt Lenny, als wir das Ende der Unterführung fast erreicht haben.
«Left, left. To my car», keucht Carlos.
Ich drehe mich kurz um. Noch haben wir einige Meter Vorsprung vor dem Hauptfeld, aber irgendwann werden die uns geschluckt haben. Sprinten zählte nie wirklich zu meinen Stärken. Ausdauerlauf auch nicht. Das ist für Ausdauersprinten vermutlich nicht die beste Voraussetzung.
«Was wollen die von uns?», schreit Wilhelm.
«Ich habe keine Ahnung, aber ich würde ungern nachfragen.» Was auch immer das für ein Laden sein mag, Kundenservice zählt wohl eher nicht zu deren Kernkompetenzen.
Endlich erreichen wir Carlos’ roten Toyota. Noch einmal drehe ich mich um. Nichts zu sehen. Wir scheinen die abgehängt zu haben. Carlos stellt seine Kamera in den Kofferraum, ich lege meine Verkleidung dazu. Ein aufheulender Motor reißt mich aus der kurzen Verschnaufpause. Klingt doch nicht nach abgehängt. Aus unserem kleinen Wettlauf scheint ein anständiges Rennen zu werden.
«Venga, vamos!», ruft Carlos. Dann fahren wir los.
Für wilde Verfolgungsjagden gilt das Gleiche wie für Klitschkokämpfe und öffentliche Steinigungen: Zuschauen macht wesentlich mehr Spaß, als selbst involviert zu sein. Wir heizen durch das kleine Touristenstädtchen, als gäbe es kein Morgen. Wenn Carlos seinen Fahrstil nicht bald ändert, gibt es auch kein Morgen. Zumindest für uns.
«Carlos! Don’t you think we could …»
«Que te calles! These people is not funny.» Gut, wo er recht hat, hat er recht. Aber bevor ich gleich an der Palme klebe, würde ich doch darauf vertrauen, dass mich mein Außenminister irgendwie aus der Hand der Drogenterroristen boxt.
Möööööööp. Carlos hupt eine Oma aus dem Weg. Ich schaue in den Rückspiegel. Weit sind die nicht mehr weg. Gleich schießen die uns die Reifen platt, wir überschlagen uns siebenmal und explodieren dann. Oder gibt’s das nur bei Alarm für Cobra 11 ? Und wo ist eigentlich der Obst-und-Gemüse-Stand, den wir niederbrettern und dessen Sortiment sich auf der Straße verteilt? Der gehört zur Verfolgungsjagd nun wirklich wie die Benzinpreiserhöhung zum Ferienbeginn. Bisher haben wir nur einen Strauch, zwei Seitenspiegel und eine Stehtafel mit der Aufschrift «Tagesgericht: Bratwurst mit Pommes Schranke» auf dem Gewissen. Aber Carlos gibt sich alle Mühe. Die Reaktionen der anderen Verkehrsteilnehmer könnten eine ganze BILD -Seite «Spanisch schimpfen für den Urlaub» füllen.
Unsere Tachonadel hat starken Rechtsdrall. Ich bin mir nicht sicher, ob Carlos das hier gerade als Überlebenskampf oder sportliche Herausforderung ansieht. Das letzte Mal, dass mir Bordsteine, Leitplanken und andere Autos so egal waren, muss 1998 gewesen sein. Als ich einen Tag nach Weihnachten mit 400 Stundenkilometern im Ford Indigo durch das australische
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