Kates Geheimnis
schau, schau«, krähte Peter fröhlich und zeigte auf die Ameisen.
»Ja, ich sehe sie«, sagte Edward ruhig. Er konnte seine Zuneigung vielleicht nicht mehr so offen zeigen wie früher, aber es gab andere Wege, seiner Familie seine Liebe zu beweisen. »Peter, wir müssen jetzt nach Hause. Ich habe noch viel zu tun.«
Die Pflicht rief. Ein furchtbar tröstlicher Gedanke, und daran klammerte Edward sich für den Rest seines Lebens.
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ANNE HAT MICH UMGEBRACHT
GOTT SEI IHRER SEELE GNÄDIG
»Oh mein Gott«, flüsterte Jill, die Hand noch an der Mauer. Alex kniete sich neben sie und beleuchtete die groben Steine mit seiner kleinen Taschenlampe.
»Anne hat mich umgebracht, Gott sei ihrer Seele gnädig.« Jill hatte Gänsehaut am ganzen Körper. Sie sah Alex an.
»Himmel«, sagte er leise.
Mit heftig pochendem Herzen stand Jill auf. »Sie war hier. Sie ist hier drin gestorben. Oh Gott.« Und Jill konnte Kate wieder deutlich vor sich sehen, wie sie schmutzig und blutverschmiert, verängstigt und zitternd hier im Turm um ihr Leben bettelte. Tränen brannten ihr in den Augen.
Alex legte den Arm um sie, und Jill lehnte sich an ihn, ohne darüber nachzudenken. »Ich frage mich, ob das damals vor Gericht gegolten hätte.
Wahrscheinlich nicht.«
Sie starrten einander an. »Anne war wahnsinnig«, sagte Jill schließlich.
»Das ist noch freundlich ausgedrückt, findest du nicht?«, gab Alex zurück.
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»Und sie ist nicht hier begraben. Auch nicht unter ihrem Grabstein. Anne muss ihn da hingestellt haben, was meinst du?«
»Oder sie hatte einen Komplizen.«
Jills Augen weiteten sich. »Du glaubst, sie hatte einen Komplizen?« »Liebling, ich will deine unbändige Neugier ja nicht schon wieder herausfordern. Aber wie hat Anne Kate hierher geschafft? Vielleicht war es ein angeheuerter Kutscher, aber irgendjemand muss ihr geholfen haben. Gehen wir.«
Jill biss sich auf die Lippe. »Sie verdient eine anständige Beerdigung.«
»Wir werden die Leiche niemals finden, Jill.«
Sie wollte das nicht hinnehmen. Sie drängte sich an ihm vorbei und ging hinaus. Der Nebel hatte sich gelichtet. Wundersamerweise versuchte die Sonne sich gegen die Wolken durchzusetzen. Über ihrem Kopf kreiste eine Möwe.
Alex hatte wahrscheinlich Recht, gestand sie sich grimmig ein, und starrte auf das Haus, ohne es wirklich zu sehen. Kate war von ihrer besten Freundin ermordet worden, sie war im Turm gestorben, aber Gott allein wusste, wo ihre Leiche jetzt lag. Es war so traurig. Kate verdiente eine richtige Beerdigung, ein ordentliches Grab.
In ihre sorgenvollen Gedanken versunken, vergrub Jill die Hände in den Anoraktaschen. Eine sanfte 752
Brise sauste an ihr vorbei, so dass ihre Haare ihren Nacken kitzelten. Plötzlich spürte Jill eine merkwürdige Spannung. Plötzlich war ihr, als werde sie beobachtet.
Jill erstarrte. Das Gefühl, angestarrt zu werden, verstärkte sich. Sie schaute zuerst zum Haus hinüber, dann die Auffahrt zur Straße hinunter. Silbrige Stämme und blassgrüne Blätter wogten schimmernd auf dem Gelände vor ihr, am Friedhof. Es war niemand zu sehen.
Ihre Fantasie ging mal wieder mit ihr durch, entschied Jill. Aber am ganzen Körper standen ihr die Haare zu Berge, und sie hatte ganz vergessen zu atmen. Abrupt fuhr sie herum, um nachzusehen, ob jemand sie von hinten beobachtete. Aber da war nur Alex, der neben ihr stehen blieb.
»Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen«, scherzte er.
Sie wandte sich zu ihm. »Ich hatte gerade das starke Gefühl, dass mich jemand beobachtet.«
Sie starrten einander an. »Kate?«
»Vielleicht.« Jill merkte, wie sehr sie sich wünschte, sie hätte sie wirklich gesehen - und diesmal klar und deutlich, so dass es keinen Zweifel daran gab, ob sie sich das vielleicht nur eingebildet hatte.
»Ich glaube, ich habe sie einmal gesehen, in meiner Wohnung in London.«
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Alex nickte. »Ich glaube, es ist an der Zeit, sie gehen zu lassen, Jill.«
»Ja«, sagte Jill heiser.
»Können wir jetzt in die Stadt zurückfahren?«, fragte er.
Jill sah sich um - sah sich den Turm an, das Haus und dann ihn. Alex hatte Recht. Sie würden Kate niemals finden, aber sie hatten die Wahrheit gefunden. Und das würde genügen müssen - es war an der Zeit, sie gehen zu lassen.
Sie sah ihm in die Augen. »Soll ich den Zug nehmen? Damit du mit William zurückfahren kannst?«
»Würde es dir sehr viel ausmachen?«, fragte er.
»Ich muss mich jetzt wirklich gut um ihn
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