Kates Geheimnis
machen mir Angst«, rief sie. »Aber das wollen Sie ja, nicht wahr?« Thomas’ Augen verdunkelten sich. »Warum sollte ich Ihnen Angst einjagen wollen, Miss Gallagher?«
»Ich weiß nicht«, gestand Jill. »Weil Sie mich hassen. Weil Sie mich für Hals Tod verantwortlich machen.«
Thomas setzte sich ihr gegenüber auf die Couch und knöpfte dabei sein Jackett auf. Dann fuhr er sich mit der Hand durch sein dichtes, von der Sonne gebleichtes Haar. Sein Siegelring glitzerte. »Ich will Ihnen keine Angst machen.« Er blickte zu ihr auf.
»Ich hatte vor, seine Sachen zusammenzupacken«, sagte er langsam. Eher zu sich selbst als zu ihr. »Aber 200
ich weiß nicht. Ich glaube, ich lasse das lieber jemand anderen machen.« Er verzog das Gesicht.
Jill war klar, dass sie sich dafür anbieten konnte und so eine Entschuldigung hätte, um wieder herzukommen , aber sie war dieser Aufgabe auch nicht gewachsen. Sie schlang die Arme um den Oberkörper. Trotz ihrer negativen Gefühle Thomas gegenüber hatte sie sehr viel Verständnis für das, was er durchmachte. »Ich muss auch in meiner Wohnung einige Sachen von ihm wegpacken. Es ist schrecklich.«
Zum ersten Mal trafen sich ihre Blicke.
Rasch schauten beide weg.
»Es kommt einem vor, als ob er noch hier wäre«, sagte Jill, die sich in dem sonnigen Apartment umsah und wieder fast erwartete, dass Hal in der Tür stand.
Thomas fuhr zusammen, und sein Blick wurde durchdringend. »Wie meinen Sie das? Meinen Sie, dass sein Geist noch hier ist?« Er klang ungläubig, aber da war noch etwas in seiner Stimme, und Jill wusste nicht, ob sie es für Angst oder Hoffnung halten sollte.
»Ich weiß nicht. Seine Schwingungen vielleicht.«
Sie schaffte es nicht, beruhigend zu lächeln. »Ich habe ganz vergessen, dass ihr Briten so sehr an Geister glaubt. Wir hier drüben tun das nicht.«
Abrupt sah Thomas auf die Uhr und griff in seine Brusttasche, holte aber nichts heraus. Er sagte: »Ich 201
bin spät dran, und ich muss einen Termin verschieben. Ich hab mein Telefon vergessen.«
Jill betrachtete seinen Rücken.
Dann sagte er, ohne sich umzudrehen: »Im Moment kann ich froh sein, dass mein Kopf angewachsen ist, sonst würde ich ihn wohl irgendwo liegen lassen. Ich verpasse ständig Termine, vergesse oder verlege irgendwas.« Er wandte sich um, lächelte schief und zuckte resigniert mit den Schultern.
Jill hatte ihn noch nie lächeln sehen, und nun konnte sie sich vorstellen, wie groß sein Sex-Appeal wirklich war. Kein Wunder, dass er ein Playboy war.
Mit seinem guten Aussehen, seinem blauen Blut und seinem Reichtum hatte er wahrscheinlich noch zehn Frauen an jeder Zehe. »Immerhin können Sie noch arbeiten«, sagte Jill und dachte an ihre eigenen Nöte.
»Nun«, sagte Thomas nach einer bedrückenden Pause. »Gehen wir?« Offenbar hatte er nicht die Absicht, sein oder ihr Verhalten seit Hals Tod zu besprechen. Jill nahm es ihm nicht übel. Eine solche Aufrechnung wollte sie auch nicht. Sie waren keine Freunde; das würden sie nie sein.
Draußen schloss Thomas die Tür ab und drehte sich zu ihr um. »Kann ich bitte Ihren Schlüssel haben?«
Jill erstarrte. Er wartete. Ihre Blicke trafen sich wieder, und diesmal für einen langen Moment.
»Es gibt keinen Grund, weshalb Sie einen Schlüssel zu dieser Wohnung haben sollten«, sagte Thomas.
202
Jill wandte sich mit klopfendem Herzen ab, damit Thomas ihr Gesicht nicht sah. Sie hatte keine andere Wahl, als ihm den Schlüssel zu geben. Sie konnte ohne seine Erlaubnis nie wieder in diese Wohnung.
Aber sie musste doch Kates Briefe finden.
Jill grub den Schlüssel aus ihrer Jeans und gab ihn ihm. »Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich hätte nicht ohne Erlaubnis hierher kommen dürfen, aber ich wusste ja nicht, dass das Apartment Ihnen gehört. Wenn ich es gewusst hätte, wäre ich nicht einfach so hineinspaziert.«
»Entschuldigung angenommen«, sagte Thomas. Jill glaubte ihm. Irgendwie hatten sie das Kriegsbeil begraben - vorerst. Sie folgte ihm zum Aufzug.
»Bitte.« Er trat zurück, um sie vorgehen zu lassen.
Hal hatte das immer genauso gemacht.
Die Aufzugtür schloss sie in der kleinen, verspiegelten Kabine ein. »Haben Sie gefunden, was Sie gesucht haben?«
Jill wollte sich gerade die Ponyfransen aus dem Gesicht streichen und erstarrte mit erhobener Hand.
»Ich habe nichts Bestimmtes gesucht«, sagte sie.
Er antwortete nicht.
203
Sechs
D ie Türklingel weckte Jill aus tiefstem Schlaf. Es war fünf Uhr
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