Kates Geheimnis
nachmittags - sie war den ganzen Tag über immer wieder eingenickt. Jill hatte KCs Rat befolgt und sich von ihrem Arzt noch einmal etwas verschreiben lassen, das sie durch die nächsten Wochen bringen sollte. Das war wohl der Grund, warum sie endlich einmal eine Nacht und sogar noch den folgenden Tag über geschlafen hatte.
Sie hatte sich auch Blut für einen
Schwangerschaftstest abnehmen lassen. Der Arzt hatte sie vor ein paar Stunden angerufen: Der Test war, Gott sei Dank, negativ.
Jill stolperte zur Sprechanlage und wurde hellwach, als die Stimme unten sich als Kurier von UPS
vorstellte. Die Kiste von ihrer Tante war da.
Jill öffnete ihre Wohnungstür und wartete ungeduldig auf den Kurier. Er trat aus dem einzigen, unglaublich lahmen Aufzug, und Jill kritzelte hastig ihre Unterschrift hin, um den mittelgroßen Karton überreicht zu bekommen. Dann drehte sie sich um und betrachtete aufgeregt die Kiste, die die Sachen ihrer Eltern enthielt.
Jill ging den Inhalt langsam durch und war glücklich über jedes einzelne Stück, das sie 204
herausnahm. Ihre Tante hatte vor allem Papiere aufgehoben, die Jill sich für zuletzt aufhob.
Ansonsten enthielt die Kiste ein komisches Sammelsurium: Krawatten und Manschettenknöpfe ihres Vaters, mehrere Tücher und Schals ihrer Mutter, alles knallbunte Kreationen der frühen Siebziger, eine mit Kristallkügelchen bestickte Abendtasche, eine echte Perlenkette. Madeline hatte die juristischen Lehrbücher ihres Vaters aufgehoben
und die Kochbücher ihrer Mutter, darunter echte Raritäten. Da war auch ein Gartenbuch und, seltsamerweise, eine Fernsehzeitschrift für die Woche vom ersten Mai 1976.
Jill wurde es schwer ums Herz. In dieser Woche war der Unfall passiert.
Sie legte die Zeitschrift wieder weg. Madeline hatte auch einige Kleider ihrer Mutter aufgehoben. Jill lächelte, als sie ein Minikleid mit einer Art Pucci-Druck und dann ein blondes Haarteil fand. Warum hatte ihre Mutter das zu ihrem schulterlangen Haar gebraucht?
Und da war eine Karte von Großbritannien und ein Reiseführer.
Jill setzte sich auf den Boden, die Perlen ihrer Mutter in der einen Hand, die vergilbte Karte und den Reiseführer in der anderen. Sie starrte die drei Gegenstände an.
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Waren ihre Eltern in England gewesen? Oder hatten sie eine Reise dahin geplant? Und wenn ja, warum?
Jill sagte sich, dass sie dort einfach Urlaub gemacht hätten, weiter nichts. Aber tief drinnen empfand sie es als einen weiteren »Zufall«, der sie und Kate Gallagher verband.
Sie sagte sich, dass sie den Grund für die Reise oder die geplante Reise niemals erfahren würde.
Also machte sie sich wieder an die Arbeit.
Schließlich kamen die großen Umschläge voll Papiere dran, die sie als Erstes aus der Kiste genommen hatte.
Sie öffnete den dicksten zuerst und schüttete den Inhalt neben sich auf den Boden.
Das Erste, was sie sah, waren ihre Pässe. Jills Herz begann heftig zu pochen.
Sie schlug sie auf, zuerst Shirleys, dann Jacks.
Endlich besaß sie ein Foto von ihnen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Oh Gott«, stammelte Jill.
Schmerzlich wurde ihr klar, dass sie ihrem Vater sehr ähnlich sah. Und ihre Mutter war genauso blond und schön wie in ihrer einzigen Erinnerung an sie.
Jill blätterte den Pass ihres Vaters durch. Und tatsächlich fand sie einen Stempel, aus dem hervorging, dass er 1970 nach Großbritannien eingereist war. Derselbe Stempel fand sich im Pass ihrer Mutter. Sie waren in dem Jahr, bevor sie geboren wurde, nach England gereist.
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Jill schüttelte ihren verwirrten Kopf. Das war wahrscheinlich nur Zufall - aber sie wünschte, es wäre noch viel mehr. Sie fragte sich, ob sie mehr über ihre Reise herausfinden könnte - wo genau sie dort gewesen waren.
Als Nächstes bekam sie Jacks Zeugnisse in die Hand, darunter sein Jura-Abschlusszeugnis. Sie fand seine Geburtsurkunde -
er war am
vierundzwanzigsten November 1936 geboren - und als sie weitersuchte, entdeckte sie auch Shirleys Geburtsurkunde. Sie war zehn Jahre jünger gewesen als Jack.
Sie hielt ihre Heiratsurkunde hoch. Überrascht stellte sie fest, dass sie nicht kirchlich geheiratet hatten. Als Trauzeugen waren Timmy O’Leary und Hannah Ames aufgeführt.
Auch der Führerschein ihres Vaters war dabei. Wie damals üblich, war kein Foto darin. Aber da standen sein Geburtsdatum und seine Adresse, 305
Dreiundfünfzigste Ost, New York. Jill wusste, dass sie einmal an diesem Haus vorbeigehen musste. Sie hoffte, dass es
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