Kates Geheimnis
stimmte.
Mitten in der Nacht wachte sie auf und erwartete, neben sich die beruhigende Wärme von Hals Körper zu spüren. Die Kälte ihres Bettes war ein Schock, ebenso wie die plötzliche Erinnerung an seinen Tod.
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Jill hatte erfahren müssen, dass es nichts Schlimmeres gab als das Vergessen des Schlafes, auf das die absolute Bewusstheit des Wachens folgte. »Wenn«, flüsterte Jill, mehr an sich als an Lauren gerichtet,
»wenn wir nur an jenem Wochenende nicht weggefahren wären.« Aber das waren sie. Und sie konnte die vergangenen Tage nicht ändern, sie konnte sie nur bereuen. Sie würde ihr ganzes restliches Leben lang Reue fühlen - Reue und Schuld.
Hatte er wirklich daran gedacht, sich von ihr zu trennen?
»Hal hätte schon vor Monaten nach Hause kommen sollen«, unterbrach Lauren barsch Jills Gedanken.
»Es war geplant, dass er im Februar kommt - zu meinem Geburtstag.«
»Es gefiel ihm in New York«, brachte Jill mit abgewandtem Blick hervor.
Lauren nahm ihre Sonnenbrille ab und enthüllte rotgeweinte Augen in exakt demselben Bernsteinton wie Hals. »Er hatte Heimweh. Das hat er mir bei unseren letzten Telefonaten gesagt.«
Jill war wie versteinert. Was hatte er seiner jüngeren Schwester, mit der er sich so gut verstand, sonst noch gesagt?
Sie meinte, sterben zu müssen, wenn Lauren von Hals plötzlichem Rückzieher wüsste.
Dann korrigierte sie sich ärgerlich - er hatte keinen Rückzieher gemacht. Nichts war endgültig 29
beschlossen worden. Alles hätte sich wieder eingerenkt, und zwar eher früher als später.
Auch Lauren blieb reglos. Schließlich sagte sie: »Er hat auch Sie erwähnt.«
Jill zuckte zusammen und starrte Lauren aus weit aufgerissenen Augen an, als säße sie einem Alien gegenüber. Er hatte sie erwähnt?
»Was meinen Sie damit, dass er mich erwähnt hat?«
»Genau, was ich sage«, antwortete Lauren und setzte ihre Brille wieder auf. Sie sah aus dem Fenster, während der silbergraue RollsRoyce dahinglitt. »Er hat erwähnt, dass er öfter mit Ihnen ausginge.«
Jill starrte sie immer noch entgeistert an. Sie waren nicht öfter miteinander ausgegangen. Sie hatten vom Heiraten gesprochen - sie hatten kurz vor einer Verlobung gestanden. Sie war sprachlos.
»Wie lange waren Sie mit ihm befreundet?«, fragte Lauren fast grob.
Jills Augen füllten sich erneut mit Tränen, und sie sah die andere Frau nur noch verschwommen. »Acht Monate. Wir haben uns vor acht Monaten kennen gelernt.« Sie krallte sich Hilfe suchend in das geschmeidige Leder des Sitzes.
»Das ist nicht besonders lange«, stellte Lauren nach einer kurzen Pause fest.
»Es war lange genug, um sich mit Haut und Haaren zu verlieben und darüber nachzudenken ... « Jill unterbrach sich.
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Lauren nahm die Brille wieder ab. »Worüber nachzudenken?«, fragte sie fordernd.
Jill fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Sie zögerte. So vieles schoss ihr durch den Kopf - seine Zwiespältigkeit, ihre Schuld, eine Frau namens Kate. »Über die Zukunft«, flüsterte sie.
Lauren starrte sie an, als sei sie ein Kalb mit zwei Köpfen. »Er hätte schon vor langer Zeit nach Hause kommen sollen«, sagte sie schließlich. »Er gehörte einfach nicht nach New York.«
Jill wusste nicht, wie sie darauf antworten sollte.
Hal hatte seiner Schwester nicht erzählt, wie ernsthaft seine Beziehung zu ihr war. Warum? Das tat ihr weh.
Gott, es tat ihr so weh wie der Gedanke an ihr letztes Gespräch - daran, wie sehr er sie mit seinen Zweifeln an ihrer Zukunft als Ehepaar verletzt hatte. Sie lehnte sich im Sitz zurück; sie war völlig am Ende. Es schmerzte sie fast so sehr wie sein Tod.
Sie musste irgendeinen ruhigen Ort finden, den Kopf unter einem Kissen vergraben, und schlafen.
Aber dann würde sie aufwachen und sich an alles erinnern, und es würde so schrecklich sein ...
Der RollsRoyce hielt an.
Augenblicklich wurde Jills Anspannung noch stärker. Das Haus der Sheldons war der letzte Ort auf Erden, an dem sie jetzt sein wollte, denn wenn sie aus Laurens Empfang darauf schließen konnte, wie der Rest der Familie sie begrüßen würde, dann war sie 31
nicht in der Verfassung, sie kennen zu lernen - jetzt nicht und auch nicht irgendwann.
Jill bemerkte, dass sie sich auf einer viel befahrenen zweispurigen Straße mitten in London befanden. Der Chauffeur wartete auf eine Lücke im Gegenverkehr, um nach rechts abbiegen zu können. Die Flügel eines hohen Gittertores standen offen, doch die Straße, in die sie
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