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Katharina von Medici (German Edition)

Katharina von Medici (German Edition)

Titel: Katharina von Medici (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ihr die ungeheuren Wunden ermeßt, die dem sozialen Körper durch die Religionsstreiter beigebracht wurden, wenn ihr von all der Rache hört, die Unglücksfälle des Individualismus beklagt, der die Wunde des heutigen Frankreichs ist, deren Keim in den von ihnen agitierten Fragen der Gewissensfreiheit schon ruhte, dann fragt euch, auf wessen Seite die Henker standen. Wie Katharina in der dritten dieser Novellen sagt, gibt es leider in allen Epochen gleisnerische Schriftsteller, die immer bereit sind, zweihundert zu gelegener Zeit getötete Schelme zu beweinen. Cäsar, der den Senat zum Mitleid mit Catilinas Partei bewegen wollte, würde Cicero vielleicht besiegt haben, wenn ihm Zeitungen und eine Opposition zur Verfügung gestanden hätte.
    Eine andere Erwägung erklärt Katharinas historischen und volkstümlichen Mißkredit. In Frankreich ist die Opposition stets protestantisch gewesen, weil sie immer nur die Negation als Politik gebrauchte; sie erbte die Theorien der Lutheraner, Calvinisten und Protestanten über die schrecklichen Worte: Freiheit, Duldung, Fortschritt und Philosophie. Zweier Jahrhunderte bedurften die Gegner der Macht, um die zweifelhafte Doktrin des freien Entscheids aufzustellen. Zwei weitere Jahrhunderte wurden dazu verwendet, das erste Corollarium des freien Entscheids, die Gewissensfreiheit, zu entwickeln. Unser Jahrhundert versucht das zweite, die politische Freiheit, einzuführen.
    Zwischen bereits durchmessenen und noch zu durchmessenden Strecken eingekeilt, haben Katharina und die Kirche das heilsame Prinzip der modernen Gesellschaften, una fides, unus dominus, proklamiert, indem sie von ihrem Rechte über Leben und Tod der Neuerer Gebrauch machten. Obwohl sie besiegt ward, haben die folgenden Jahrhunderte Katharinen Recht gegeben. Das Produkt des freien Entscheides, der religiösen und der politischen Freiheit (verwechseln wir sie nicht mit der bürgerlichen Freiheit) ist das Frankreich von heute. Was aber ist das Frankreich von 1840? Ein ausschließlich sich mit materiellen Interessen befassendes, alles Patriotismus bares Land ohne Gewissen, wo die Macht der Kraft entbehrt, wo die Wahl, eine Frucht des freien Entscheids und der politischen Freiheit, nur Mittelmäßigkeiten auf den Schild hebt, wo die brutale Gewalt den Gewalttätigkeiten des Volkes gegenüber Notwendigkeit geworden ist und wo die auf die läppischsten Geringfügigkeiten ausgedehnte Diskussion jede Handlung des sozialen Körpers erstickt. Wo das Geld alle Fragen beherrscht und wo der Individualismus, ein furchtbares Produkt der Teilung ad infinitum aller Erbschaften, das die Familie unterdrückt, alles, selbst die Nation verschlingen wird, welche der Egoismus eines Tages der Invasion ausliefern wird. Man wird nun sagen: Warum also nicht den Zaren? wie man sich sagte: Warum nicht den Herzog von Orleans ? Man erkennt keine großen Werte mehr an; in fünfzig Jahren aber wird man auf nichts mehr Wert legen.
    Katharinen und allen denen gemäß, die eine wohlgeordnete Gesellschaft wollen, hat der Untertan also keinen freien Entscheid und darf sich weder zum Dogma der Gewissensfreiheit bekennen noch politische Freiheit besitzen. Da aber keine Gesellschaft ohne die Garantien existieren kann, die dem Untertan gegen den Herrscher geleistet werden, ergeben sich für den Untertanen daraus Freiheiten, die Beschränkungen unterworfen sind. Die Freiheit, nein; Freiheiten aber, ja; begrenzte und treffend bezeichnete Freiheiten. Das ist konform der Natur der Dinge. Wahrlich aber steht es außerhalb der Menschenmacht, die Gedankenfreiheit zu verhindern, und kein Monarch kann der Macht des Geldes Einhalt gebieten. Die großen Politiker, die in diesem langen Kampfe – er währte fünf Jahrhunderte hindurch – besiegt wurden, erkannten ihren Untertanen große Freiheiten zu; gestatteten aber weder die Freiheit, antisoziale Gedanken zu veröffentlichen, noch ließen sie die schrankenlose Freiheit des Individuums zu. Im politischen Sinne sind: Untertan und frei sein, zwei sich widersprechende Begriffe, ebenso wie der Begriff: Bürger, die alle gleich sind, einen Nonsens darstellt, den die Natur zu jeder Stunde Lügen straft. Notwendigkeit der Macht anerkennen und den Untertanen das Recht einräumen, die Religion zu verneinen, ihren Kult anzugreifen und sich der Machtausübung durch den öffentlichen, mitteilbaren und mitgeteilten Ausdruck des Gedankens zu widersetzen, ist eine Unmöglichkeit, welche die Katholiken des sechzehnten Jahrhunderts

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