Katharina von Medici (German Edition)
Reichs Verwaltung seiner Mutter anvertraute.
Ist es nicht eines der seltsamsten Schauspiele, daß ein ganzes Königreich von dem Ja oder Nein eines französischen Bürgers in der Schwebe gehalten ward, der lange Zeit über gänzlich unbekannt war und damals in Genf hauste? Der Papst jenseits der Alpen wurde von dem Genfer Papste in Schach gehalten! Jene beiden, unlängst noch so mächtigen lothringischen Fürsten wurden durch das momentane Einverständnis zwischen dem ersten Prinzen von Geblüt, der Königin-Mutter und Calvin paralysiert. Ist es nicht eine der furchtbarsten Lehren, die den Königen von der Geschichte erteilt wird, eine Lehre, die sie dazu bringt, sich mit dem Genie zusammenzutun und es, wie Ludwig der Vierzehnte es verstand, überall zu finden, wo Gott es aussät.
Calvin, der nicht Calvin, sondern Cauvin hieß, war ein Böttchersohn aus Noyon in der Picardie. Aus seiner Heimat Charakter läßt sich bis zu einem gewissen Punkte sein mit bizarrer Lebhaftigkeit vermischter Starrsinn erklären, der diesen Schiedsrichter der Lose Frankreichs im sechzehnten Jahrhundert charakterisierte. Niemand ist weniger bekannt als dieser Mann, der Genf und den Geist dieses Gemeinwesens erzeugte. Jean-Jacques Rousseau, der wenig historische Kenntnisse besaß, hat nichts von dem Einflüsse dieses Mannes auf seine Republik gewußt. Und anfangs hatte Calvin, der in einem der bescheidensten Häuser im hochgelegenen Genf bei der Sankt Peterskirche über einem Tischler wohnte – das ist eine erste Ähnlichkeit mit Robespierre – keine sehr große Autorität in Genf. Voller Haß ward seine Macht lange Zeit über von den Genfern eingeschränkt. Im sechzehnten Jahrhundert besaß Genf in Farel einen jener berühmten Mitbürger, die der ganzen Welt, oft der Heimat selber, unbekannt bleiben. Gegen 1537 hielt dieser Farel Calvin in seiner Vaterstadt fest, indem er sie ihm als das sicherste Bollwerk einer Religion hinstellte, die sich als aktiver erwies als die lutherische. Farel und Calvin sahen das Luthertum als ein unvollständiges Werk an, das für Frankreich nicht genug Möglichkeiten bot. Genf, das zwischen Italien und Frankreich lag, das sich der französischen Sprache bediente, war wunderbar gelegen, um mit Deutschland, mit Italien und Frankreich Verbindungen zu unterhalten. Calvin nahm Genf als den Sitz seines geistigen Seins an und machte es zur Zitadelle seiner Ideen.
Der von Farel bestürmte Genfer Rat erlaubte Calvin im Septembermonde 1538 dort Theologieunterricht zu geben. Das Predigen überließ Calvin Farel, seinem ersten Schüler, und widmete sich geduldig der Aufzeichnung seiner Lehre. Jene Autorität, die in seinen letzten Lebensjahren souverän ward, sollte sich nur schwer durchsetzen. Der große Agitator stieß auf so ernsthafte Hindernisse, daß er eine Zeitlang der Strenge seiner Reform wegen aus Genf verbannt wurde. Dort gab es eine Partei von redlichen Leuten, die sich für den alten Luxus und die ehemaligen Sitten einsetzten. Immer aber fürchten sich solche Leute vor der Lächerlichkeit, wollen das Ziel ihrer Bestrebungen nicht eingestehen und kämpfen um Punkte, die mit der eigentlichen Frage nichts zu schaffen haben.
Calvin wollte, daß man sich gesäuerten Brotes zur Kommunion bediene und daß es außer dem Sonntage keine Feste mehr gäbe. Diese Neuerungen wurden in Genf und Lausanne mißbilligt. Man bedeutete also den Schweizern, sich nach dem Schweizer Ritus zu richten, Calvin und Farel leisteten Widerstand, und ihre politischen Feinde stützten sich auf diese Uneinigkeit, um sie aus Genf zu verjagen; tatsächlich wurden sie für einige Jahre verbannt. Von seiner Herde zurückverlangt, kehrte Calvin später wie im Triumphzuge dorthin zurück. Solche Verfolgungen verwandeln sich stets in Weihe der moralischen Macht, wenn der Schriftgelehrte zu warten weiß. Die Rückkehr ward denn auch in gewisser Weise der Anfang der stolzen Aera dieses Propheten. Die Hinrichtungen begannen, und Calvin organisierte seinen religiösen Terror. Im Augenblicke, da er als Beherrscher wieder erschien, ward er in die Genfer Bourgeoisie aufgenommen; nach einem vierzehnjährigen Aufenthalte aber gehörte er noch nicht dem Rate an. Im Momente, da Katharina von Medici einen Gesandten an ihn schickte, besaß dieser König der Ideen keinen anderen Titel als den eines Pfarrers der Genfer Kirche. Calvin hatte übrigens nie mehr als einhundertfünfzig Franken in bar, fünfzig Zentner Getreide und zwei Tonnen Weins an
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