Katharina von Medici (German Edition)
Nachtwachen und ewigen Arbeiten zufolge, Calvins Kopf verkroch sich zwischen die breiten Schultern, was ihn zwang, nur eine schmale kleine Röhrenkrause zu tragen, auf welcher sein Kopf wie Johannes des Täufers Haupt auf einer Schüssel lag. Zwischen Schnurr- und Backenbart sah man seinen hübschen beredten Mund, der klein und mit wunderbarer Vollendung gezeichnet war. Das Gesicht ward von einer viereckigen Nase geteilt, die bemerkenswert war durch den Bogen, der sich über ihre ganze Länge spannte und am Ende bezeichnende Halbflächen aufwies, die mit der wunderbaren, auf diesem königlichen Haupte zum Ausdruck kommenden Kraft im Einklang standen. Obwohl man auf diesen Zügen nur schwer die Spuren der wöchentlichen Migränen zu entdecken vermochte, welche Calvin mit dem leichten Fieber befielen, von dem er verzehrt ward, verlieh das unaufhörlich durch Studium und Willen bekämpfte Leiden dieser anscheinend blühenden Maske etwas unbeschreiblich Schreckliches, das aber einigermaßen erklärlich war durch die Farbe des Fettpolsters, welches von den seßhaften Gewohnheiten des Arbeiters zeugte. Es trug die Spuren des ständigen Kampfes seines kränklichen Temperamentes mit einer der stärksten Willenskräfte, die in der Geschichte des menschlichen Geistes bekannt sind. Wiewohl der Mund reizend war, wies er einen grausamen Zug auf. Die Keuschheit, von ungeheuren Plänen vorgeschrieben und von soviel kränklicher Disposition gefordert, stand auf diesem Gesichte zu lesen. Trauer breitete sich über die Heiterkeit der machtvollen Stirn, und Schmerz lag in dem Blicke der Augen, deren Ruhe erschreckte.
Calvins Kleidung ließ seinen Kopf scharf hervortreten, denn er trug den berühmten schwarzen Tuchtalar, der von einem schwarztuchenen Gürtel mit Kupferschließe zusammengehalten ward, welcher das Kostüm der calvinistischen Prediger wurde und der, den Blick nicht auf sich lenkend, die Aufmerksamkeit zwang, sich nur mit dem Gesichte zu beschäftigen.
»Ich leide zu sehr, Theodor, um Euch umarmen zu können«, sagte Calvin dann zu dem eleganten Reiter.
Theodor von Béza war damals zweiundvierzigjährig und seit zwei Jahren auf Calvins Bitten hin unter die Genfer Bürger aufgenommen worden. Er bildete den lebhaftesten Kontrast zu dem schrecklichen Seelenhirten, den er zu seinem Herrn erwählt. Calvin wurde wie alle Bürgerlichen, die sich zu einer moralischen Souveränität erheben, oder wie alle Erfinder sozialer Systeme von Eifersucht verzehrt. Er verabscheute seine Schüler, wollte seinesgleichen nicht und duldete nicht den geringsten Widerspruch. Doch bestand zwischen Theodor von Béza und ihm ein zu großer Unterschied; diesen eleganten, mit einer angenehmen Figur ausgestatteten Reiter, der voller Höflichkeit und gewöhnt war, an Höfen zu verkehren, fand er all seinen wilden Janitscharen so unähnlich, daß er ihm gegenüber von seinen üblichen Gefühlen Abstand nahm. Niemals liebte er ihn, denn der rauhe Gesetzgeber wußte nichts von Freundschaft. Da er aber in Theodor von Beza keinen Nachfolger zu finden fürchtete, liebte er es, mit ihm zu spielen, wie es Richelieu sehr viel später mit seiner Katze tat; er fand ihn geschmeidig und bequem. Als er sah, wie Béza in all seinen Missionen große Erfolge erzielte, liebte er dies geschmeidige Werkzeug, für dessen Seele und Lenker er sich hielt. So wahr ist's, daß die sprödesten Menschen sich eines Scheines von Zuneigung nicht entschlagen können. Theodor war Calvins Hätschelkind; nie zürnte der große Reformator mit ihm; seine Regellosigkeiten, seine Liebschaften, die schönen Kleider und seine gewählte Sprache übersah er. Vielleicht war es Calvin zufrieden, zu zeigen, daß die Reform voller Grazie mit Hofleuten zu streiten vermochte. Theodor von Béza wollte in Genf das Gefallen an Künsten, an Literatur und Dichtung einführen, und Calvin hörte seinen Plänen zu, ohne mit seinen dicken grauen Brauen zu zucken. So war der Kontrast des Charakters und der Person ebenso vollständig wie der geistige Kontrast dieser beiden berühmten Männer.
Calvin nahm Chaudieus gar demütiglichen Gruß mit einem leichten Neigen des Kopfes entgegen. Chaudieu wickelte die Zügel der beiden Pferde um seinen rechten Arm und folgte den beiden großen Reformationsmännern, indem er sich in einiger Entfernung von Theodor von Bézas Linken hielt, der neben Calvin einherschritt. Calvins Pflegerin eilte voraus, um zu verhindern, daß man das Rivestor schlösse, indem sie dem
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