Katharsia (German Edition)
Ihn interessierte etwas anderes. Was geht dort vor , fragte er sich. Wozu wurde das Kind, der kleine Gerard de Teynac, gebraucht? Wovor hatte er solche Angst?
Hinter Sando rührte sich Fouchet. Mit seinen schwarzen Lackschuhen scharrte er auf dem Parkett. Sando bemerkte, dass er – nervös am Federhalter kauend – das Brainscreening argwöhnisch beobachtete.
Ein merkwürdiger Kerl , dachte er, doch ehe er weiter darüber nachsinnen konnte, riss ihn die Stimme der Krankenschwester wieder in das Geschehen am Bildschirm zurück.
„Nicht schon wieder, Franz! Gestern haben wir den Kleinen mit Müh und Not zurückholen können.“
Darauf der Mann in dem grünen Kittel, der offenbar Franz hieß: „Aber es hat sich gelohnt, Denise! Der Chef war begeistert von der Detailgenauigkeit, mit der der Kleine vom nahen Tod erzählt hat.“
Auf dem Monitor war kaum noch etwas zu erkennen. Nur manchmal tauchten schemenhaft Figuren auf. Seltsamerweise war aber das, was gesprochen wurde, trotz des starken Echos gut zu verstehen.
„Ich werde es nicht zulassen! Den nächsten Versuch wird Gerard nicht überleben!“, sagte jetzt die Schwester.
Ein heftiges Geräusch, dann die Stimme von Franz: „Was soll das, Denise? Ich muss den Jungen vorbereiten! Geh bitte zur Seite!“
„Ich will erst mit dem Chef sprechen!“
„Professor Sindelfang wird schön sauer sein, wenn er kommt und feststellen muss, dass sein kleines Versuchskaninchen noch putzmunter ist.“
Als der Name „Professor Sindelfang“ fiel, flackerte das Bild auf dem Monitor heftig auf. Einige Sekunden lang waberte schemenhaft eine verzerrte Fratze über den Schirm, die sich wie ein Nebel allmählich verzog. „Ich werde es riskieren, Franz!“, sagte Denise fest, woraufhin es der Mann mit Überredung versuchte.
„Das bringt doch nichts. Bitte geh zur Seite, Denise. Ich habe diesmal das Mittel sehr vorsichtig dosiert. Ehrenwort!“
„Keine Chance, Franz!“
Das Monitorbild wurde plötzlich wieder etwas klarer: Der weiße Rücken der Schwester war zu erkennen. Sie stand da, die Arme gehoben, als wolle sie einen Angreifer abwehren. Dahinter im grünen Kittel Franz, der eine aufgezogene Injektionsspritze in der Hand hielt und versuchte, an Denise vorbeizukommen. Und jetzt war sich Sando sicher: Er kannte diesen Mann! Franz – der Name erzeugte in ihm eine unangenehme Schwingung.
„Franz …“, murmelte er vor sich hin und suchte im Geiste den Nachnamen, der dazugehörte.
Und plötzlich hatte er ihn: Stadlmeyr! Franz Stadlmeyr! Der Retaminschmuggler mit der Riesenechse! Der Kerl, der in der Wüste von den KORE-Leuten ermordet worden war!
Und nun tauchte er plötzlich in der Erinnerung von Denises Vater auf. Hier war er freilich noch um einiges jünger, aber es gab keinen Zweifel, dass es ein und dieselbe Person war! Wie es aussah, war Stadlmeyr in seinem Erdenleben an medizinischen Menschenversuchen beteiligt! Ebenso das irdische Vorbild von Denise. Hatte ihre Gefährtin, die jetzt bewusstlos auf der Pritsche lag, davon gewusst?
Vielleicht konnte Ben diese Frage beantworten? Sando suchte mit den Augen den Raum nach ihm ab, aber er konnte ihn nicht entdecken. Der Junge dachte sich nichts dabei und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Brainscreening.
Professor Merlin tastete sich behutsam durch die Erinnerungen des Patienten. Das leise Piepen der Überwachungsgeräte und das eintönige Atmen der Herz-Lungen-Maschine verstärkten die Spannung, mit der die Anwesenden auf das Kommende warteten.
„Die Tür!“, entfuhr es Nabil.
In der Tat öffnete sich im Hintergrund erneut die Tür, ein weißer Kittel erschien, darunter eine schwarze Uniform mit glänzenden Knöpfen und einem silbernen Zeichen am Kragen. Sando versuchte, es zu erkennen, doch das Monitorbild war von gleißender Helligkeit so überstrahlt, dass die Umrisse des Zeichens verschwammen.
Eine angenehme Männerstimme sagte mit einer Ruhe, die Sando das Blut in den Adern gefrieren ließ: „Aber, aber, Fräulein Denise, Sie wollen doch nicht ernsthaft meine Forschung behindern …“
Bei dem Eintretenden handelte es sich offensichtlich um den Chef, Professor Sindelfang. Sando war gespannt, wer sich hinter diesem Arzt in Uniform, der unzweifelhaft mit Menschen experimentierte, verbarg. Noch war sein Gesicht von Stadlmeyrs Hand mit der Injektionsspritze verdeckt.
„Der Junge braucht ein paar Tage Ruhe, Herr Professor! Er stirbt …“
Es war Schwester Denise, die hastig diese Worte
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