Katharsia (German Edition)
Hubschrauberabsturz nicht überlebt haben? Wie seid ihr dem Inferno entkommen, das sich uns bot, als wir zur Unglücksstelle kamen? Hatte eure Rettung mit dem Retamin zu tun, von dem wir Spuren im Helikopter gefunden haben? Du siehst, ich habe Fragen über Fragen.“
„Das Retamin kann nur von Ihren Leuten stammen! Nicht wir, sondern ihr schmuggelt Retamin!“, brauste Sando auf.
Battoni winkte ab. „Ich verzeihe dir deine Frechheit. Und weißt du, warum? Weil mir diese Fragen auch deine kleine Freundin beantworten kann. So, wie sie da liegt, ist ihr Hirn für Professor Merlin wie ein offenes Buch. Von ihr erfahre ich sicher auch, von wem die Fotos der Beerdigungsfeier stammen, die ihr an die Presse gegeben habt. Aber eigentlich ist das alles Schnee von gestern und für mich nur von Interesse, weil ich ein wenig nachtragend bin und meine Widersacher gebührend bestrafen möchte. Das ist ein niedriger Beweggrund, sicher, aber ich stehe dazu. Ich bin nicht besser als andere Menschen.“
Er lächelte Sando offen ins Gesicht. „Du siehst, ich rede mit dir wie mit einem Erwachsenen, weil ich denke, dass du ein verständiger Junge bist. Und darum will ich dir jetzt eine wirklich wichtige Frage stellen, eine Frage, die für die Zukunft Katharsias von entscheidender Bedeutung ist, eine Frage, die nur du beantworten kannst.“
Und wieder streckte ihm Battoni die blaue Tüte hin.
„Was war hier drin, als du sie gefunden hast?“
In dem Moment wusste Sando, dass er nichts über den Hühnergott sagen durfte. Was immer es mit diesem Metallring auf sich hatte – wenn er den Seelenrettern so wichtig war, musste er verhindern, dass er ihnen in die Hände fiel.
Er antwortete ausweichend: „Vielleicht habe ich eine solche Tüte tatsächlich in der Hand gehabt … Wenn meine Fingerabdrücke darauf sind, wird es schon so gewesen sein. Aber ich muss es vergessen haben. Merken Sie sich jede Tüte, die Sie in die Hand nehmen?“
„Natürlich nicht. Aber wenn etwas Interessantes drin war, dann merke ich mir das schon.“
Battoni wirkte gereizt.
„Sehen Sie? Das ist der Beweis!“, sagte Sando forsch.
„Beweis? Wofür?“
„Ich habe die Tüte deshalb vergessen, weil nichts Interessantes drin war. Ich kann Ihnen wirklich nicht weiterhelfen.“
Battoni schaute ihn lange schweigend an. Dann stellte er betont leise die Frage, die ihn wohl am meisten interessierte: „Und wo sich Professor Strondheim versteckt hält, weißt du sicher auch nicht.“
„Nein“, antwortete Sando – diesmal mit dem guten Gefühl, die Wahrheit zu sagen.
Battoni nickte gedankenverloren mit dem Kopf.
„Du willst es also nicht anders. Professor Merlin hat euch ja schon die Instrumente gezeigt, die uns zur Verfügung stehen. Du zwingst mich, sie zu benutzen.“
Er schnipste mit den Fingern. Der Helfer in der hellblauen Montur begann seelenruhig, eine dritte Pritsche aufzubauen. Sando bemerkte erst jetzt die beiden Klappliegen, die noch aufrecht an der Wand lehnten. Offenbar waren sie Nabil und Gregor zugedacht. Und dann ging alles sehr schnell: Wie aus dem Nichts tauchten die beiden Kämpfer der Eskorte, die den Durchgang bewacht hatten, hinter Sando auf, hoben ihn wie eine Feder in die Luft und knallten ihn unsanft auf die Pritsche. Der Angstschrei des Jungen gellte nur kurz auf, denn er wurde sofort erstickt von einer riesigen Hand. Dann spürte Sando, wie ihm ein Knebel in den Mund geschoben wurde. Während er gegen den aufkommenden Brechreiz ankämpfte, schlossen sich Riemen um seine Arme und Beine. Im blendenden Licht einer Lampe sah Sando schemenhaft Gestalten, die sich an ihm zu schaffen machten. Eine Hand fuhr tastend über seinen Brustkorb.
„Herr Professor, der Junge trägt etwas unter dem Hemd.“
Zu Sandos Angst gesellte sich Wut und maßlose Enttäuschung. Nun hatten sie, was sie suchten. Alles war umsonst gewesen. Verzweifelt kämpfte er gegen die Fesseln, die ihn hielten, doch er konnte nicht verhindern, dass sein Hemd geöffnet wurde.
„Es sieht aus wie ein Medaillon, Herr Professor.“
„Zeigen Sie her!“
In Sandos Nacken zuckte ein kurzer Schmerz und Sando begriff, dass sie das Medaillon von der Kette gerissen hatten.
„Ein Bildnis. Wahrscheinlich irgendein Gemälde. Schauen Sie, Herr Battoni!“
Nach einer kurzen Weile des Schweigens hörte Sando Battoni sagen: „Sie haben Recht, Professor. Es handelt sich um die Sixtinische Madonna aus der Dresdner Galerie.“
„Hut ab! Sie kennen sich aus“, schmeichelte
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