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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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Professor Merlin.
    „Es geht so“, sagte Battoni mit gespielter Bescheidenheit. „Ich habe mich ein wenig mit der Malerei meiner Landsleute beschäftigt und dieses hier hat zufällig ein Italiener gemalt.“
    „Eine schöne Frau“, sagte der Professor. „Und was machen wir jetzt mit dem Medaillon?“
    „Lassen wir es dem Jungen. Er stammt aus Dresden. Es ist nur ein sentimentales Erinnerungsstück.“
    „Heißt das, Sie wollen nach der Analyse seine Erinnerungen nicht löschen?“
    „Ich weiß es noch nicht, Professor. Das hängt vom Ergebnis der Untersuchung ab.“
    Sando spürte mit Erleichterung, dass ihm das Medaillon in die Brusttasche seines Hemdes geschoben wurde. Marias Madonna erwies sich als gutes Versteck für den wohl meistgesuchten Gegenstand Katharsias.
    „Dann wollen wir mal sehen, was sein Hirn so gespeichert hat!“, vernahm Sando die Stimme des Professors. Daraufhin saugten sich Elektroden wie Blutegel an seinen Schläfen fest. Zu Sandos Angst gesellte sich nun jenes Gefühl, das ihn erfasst hatte, als er in dem dunklen Tunnel Marias Seele verlor: eine Mischung aus Trauer, Ohnmacht und Wut. Gleich würden sie ihm sein Geheimnis entreißen und den Hühnergott finden. Gleich würde er bewusstlos sein und nie wieder erwachen – jedenfalls nicht als Sando Wendelin.
    „Impulse zur Anästhesie vorbereiten!“, befahl Merlin ungerührt. Sando zerrte an seinen Fesseln. Schweiß brach ihm aus allen Poren.
    „Impulsgeber klar!“, meldete die Stimme des Helfers.
    Sie löschen mich aus! Befördern mich ins Nichts!
    Sandos Hirn hämmerte Schreckensvisionen: Hilflos lag er vor einem riesigen Monitor, der einen einzigen Button zeigte: ERASE. Das Wort, blutrot, schwoll an, erregt durch den gestreckten Zeigefinger der starren Cursorhand, die sich langsam vortastete bis ins Zentrum des Buttons. ERASE! Gleich musste er kommen – der finale Klick. Als Begleitmusik dröhnte Sando durchdringendes Sirenengeheul in den Ohren und sägte an seinen überspannten Nerven. Hinzu kam wüstes Geschrei und lautes Gepolter. Klang so der Übergang ins Nichts?
    Sando riss die Augen auf. Alle Konturen des Raumes, in dem er gefesselt lag, hatten begonnen, sich aufzulösen. Selbst das gleißende Licht der Lampe, die auf ihn gerichtet war, trübte sich ein, wirkte gedämpft wie von einem dichten Nebel.
    Nebel! Er waberte durch den Raum und machte jede Orientierung unmöglich.
    Plötzlich zuckten Laserblitze auf. Ringsum splitterte Glas, etwas Schweres schlug auf dem Boden auf, im selben Moment riss es schmerzhaft die Saugelektroden von seinen Schläfen weg. Erneute Laserblitze, ein Stöhnen, jemand brüllte aus vollem Halse: „Feuer einstellen! Seid ihr wahnsinnig, hier blind herumzuballern?!“
    Sando versuchte vergeblich, irgendetwas zu erkennen. Hitze brannte auf seiner Brust. Sein Herz schien zu flattern, als wollte es zerspringen. Doch Sando nahm es nicht wahr, denn ein ungeheuerlicher Gedanke hatte von ihm Besitz ergriffen: Dieser Nebel war Retamin!
    Die Situation erinnerte ihn an das Chaos im Helikopter kurz vor der Katastrophe. Hatte es sich bei dem Nebel im Cockpit nicht ebenfalls um Retamin gehandelt?
    Sando begann, gegen seine Fesseln anzukämpfen. Im Salon nebenan war Ben, genauer: seine Seele. Und hier war seine Rettung – Retamin im Überfluss, genug für einen neuen Körper!
    „Ben!“, wollte er rufen, doch der Knebel in seinem Mund ließ nur einen dumpfen, unartikulierten Laut zu. Sandos Gedanken waren nun ganz auf Ben konzentriert. Er musste es schaffen, seinen Freund herbeizurufen.
    Plötzlich geriet der Nebel in Wallung. Die winzigen Partikel gewannen an Tempo, kreiselten immer schneller, bis ein ohrenbetäubendes Pfeifen den Raum erfüllte. Die Materie verdichtete sich, wobei die Sicht zunehmend klarer wurde. Sando entdeckte mit Erstaunen, dass es zwei Körper waren, die dort zwischen zerfetzten Kabeln und zerborstenen Monitoren rotierten. Wer mochte da die Gunst der Stunde genutzt haben, fragte er sich.
    Erst jetzt bemerkte er die beiden KORE-Leute, die verwirrt auf die Kreisel starrten und offenbar nicht wussten, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten. Ihnen zu Füßen lagen Kämpfer in ihrem Blut, die Hände noch um die Waffen gekrallt. Auch Battoni schien die Schießerei im Nebel nicht überlebt zu haben. Wie ein nasser Sack hing er quer über Denises Pritsche und begrub den kleinen Engel unter sich. Denise schien bei Bewusstsein zu sein, denn durch Battonis Körper ging hin und wieder ein

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