Katharsia (German Edition)
zerrissenen Kette aus der Brusttasche seines Hemdes, wo es Professor Merlin achtlos hineingestopft hatte, und umschloss es mit seinen Fingern. Nach dieser Anstrengung fielen ihm die Augen zu. Doch der Schlaf, der ihn nun übermannte, schenkte ihm keine Ruhe.
FÜR EUCH HAT GOTT NUR DIE HÖLLE!
Die Stimme des Geiselnehmers dröhnte in seinem Schädel. Wie von einem gleißenden Spotlicht aus der Dunkelheit gerissen, erschien der Lauf eines Revolvers vor seinen Augen. Schimmernde Reflexe umspielten das schwarze Loch, ein Abgrund, aus dem sich nun gemächlich eine Kugel schob. Langsam schwebte sie auf Maria zu. Sando wollte die Kugel fangen, aber da war etwas, was ihn davon abhielt: Marias Duft wehte durch seinen Traum. Er sah das Medaillon, das sich auf dem Ansatz ihrer Brüste mit jedem Atemzug hob und senkte, und er spürte ein scheues Verlangen, sie zu berühren. Gleichzeitig lähmte eine unerklärliche Angst seine Muskeln. Eine Welle der Sehnsucht erfasste ihn. Ihm war, als wollte seine Brust zerspringen. Tonnenschwer seine Arme, die er nun hob und ihr entgegenstreckte. Als er sie berührte, brach ihre Haut auf wie von einem todbringenden Projektil. Plötzlich war alles ein Meer aus Blut. Sando watete durch die Straßen Jerusalems. In der Ferne hörte er Maria schreien. Er hastete los, fand sie mit einem Spieß im Leib – und das Feuer der Kreuzfahrer brannte schon. Wolfenhagen, der Dämon, stand bei der gepfählten Toten und fuhr ihr mit den Fingern lächelnd über Gesicht, Hals und Brust. Versonnen betrachtete er das blutverschmierte Medaillon mit dem Bildnis der Madonna.
„Willkommen, junger Herr“, begrüßte er Sando freundlich. „Schreckliche Dinge geschehen, nicht wahr? Aber ich kann dir helfen, sie zu vergessen.“
Nebel waberte heran. Jemand packte Sando von hinten und warf ihn auf eine Pritsche, über der ein riesiger Monitor schwebte. Darauf stand das Wort „ERASE“. Und während eine Horde von Kreuzfahrern Maria zum Feuer schleifte, saugten sich Elektroden an seinen Schläfen fest. Ein sanftes Klickgeräusch – das Wort auf dem Monitor glühte hell auf. Dann sackte alles weg in die Finsternis.
DER HÜHNERGOTT
Er kommt zu sich. Holen Sie den Doktor, schnell!“ Schritte entfernten sich. Je leiser sie wurden, desto deutlicher trat ein eintöniges Piepen hervor.
Überwachungsgeräte! Sandos Herz begann, schneller zu schlagen. Unruhig drehte er den Kopf im Kissen. Jetzt fühlte er auch die Elektroden an seinen Schläfen. Und da war sie wieder – die Angst.
„Maria!“
Schritte näherten sich eilig. Eine warme Hand legte sich auf seine Stirn.
„Aber nicht doch, mein Junge. Du bist in Sicherheit. Es ist alles in Ordnung.“
Sando öffnete mühsam die Augen.
Er erkannte die Umrisse eines Mannes, der sich über ihn beugte. Allmählich gewann das Bild an Schärfe.
„Doktor Fasin!“
„Willkommen in der Wirklichkeit, Sando. Weißt du, wie lange du geschlafen hast? Drei volle Tage.“
„Drei Tage?“, fragte Sando ungläubig.
„Ja. Du standest unter Schock. Kein Wunder bei dem, was du durchgemacht hast, seit du hier bist in Katharsia. Aber nun ist das Gröbste hoffentlich überstanden.“
Während Doktor Fasin dies sagte, entfernte er die Elektroden von Sandos Schläfen. Sie lösten sich mit einem leisen Plopp .
„Wieso sind Sie in Paris?“, wollte Sando wissen.
„Nur wegen dir.“ Doktor Fasin sah Sando fröhlich an. „Du und deine Freunde, ihr steht jetzt im strahlenden Licht des Ruhmes. Ja, und als man mich zu dir rief, habe ich sofort zugesagt in der Hoffnung, ein kleiner Schimmer würde auch auf mich fallen.“
„Ruhm?“ Sando sah Doktor Fasin verständnislos an.
„Ja. Seit Tagen schon feiert euch die Presse als mutige Helden, die unter Lebensgefahr der Wahrheit zu ihrem Recht verholfen haben.“ Doktor Fasin wendete sich um und sagte in den Raum hinein: „Fatima, bring doch bitte die Zeitungen.“
„Fatima ist auch hier?“ Sando war freudig überrascht.
„Ich werde sie dir doch nicht vorenthalten, schließlich bin ich an einem schnellen Heilungserfolg interessiert“, frotzelte der Doktor.
„Ich bin schon gesund“, rief Sando und machte Anstalten, das Bett zu verlassen. Doch die plötzliche Bewegung verursachte in seinem Kopf einen leichten Schwindel. Irritiert ließ er sich wieder ins Kissen fallen.
„Schön liegen bleiben!“, sagte der Doktor. „Auch wenn dir jetzt Flügel wachsen. Mit dem Trauma, das du erlitten hast, ist nicht zu spaßen. Ein paar Tage
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