Katharsia (German Edition)
die Angst. Sie kriecht in mir hoch, umklammert mein Herz. Ich bin jedes Mal heilfroh, wenn ich erwache.“
Fatima saß zusammengesunken auf Sandos Bett, die Arme um den Körper geschlungen.
„Und du weißt nicht, was dieser Traum bedeutet?“, fragte Sando behutsam.
„Nein, ich kann mich nicht erinnern, dass mir je einer Böses wollte.“
„Und was sagt Doktor Fasin dazu?“
„Er hält den Traum für völlig normal. Seiner Meinung nach sind Bedrohung und vergebliche Flucht typische Motive, die jeder Mensch nahezu täglich träumt. Er sagt, es handele sich um Aufarbeitungsprozesse für die Ängste, die uns bewusst oder unbewusst im Alltag zu schaffen machen. Meist sind diese Träume beim Aufwachen schon wieder vergessen.“
„Du kannst sie aber offenbar nicht vergessen.“
„Nein.“ Fatima seufzte. „Auch Doktor Fasin bereitet das Sorgen. Hin und wieder gibt er mir ein Mittel, damit ich nicht während der Traumphase erwache, denn wer weiterschläft, der kann sich am Morgen an nichts mehr erinnern.“
„Und geht es dir besser damit?“
„Das schon, aber ich will das Medikament nicht jede Nacht nehmen. Doktor Fasin schimpft deshalb manchmal mit mir. Er möchte, dass es seinem Wunschwesen gut geht.“
Die Tür des Krankenzimmers öffnete sich. Doktor Fasin trat in Begleitung zweier Männer herein, die er als Mitarbeiter der Gefahrenabwehr vorstellte.
„Die Herren wollen dir einige Fragen stellen, Sando. Ich habe ihnen fünf Minuten gegeben.“ Er wandte sich den Männern zu. „Und keine Minute länger, denn Aufregung ist im Moment Gift für den Jungen.“
Er machte Fatima ein Zeichen, den Raum zu verlassen, und postierte sich im Hintergrund.
Die beiden Beamten gaben Sando die Hand. Einer, er war der Ältere und offenbar der Wortführer der beiden, zog sich einen Stuhl ans Bett und setzte sich. Der Jüngere blieb hinter seinem Kollegen stehen und zückte Stift und Notizbuch.
„Also, Sando, erst einmal muss ich dir meinen Respekt aussprechen“, begann der Ältere. „Wie du diese schrecklichen Dinge durchgestanden hast, das hätte so manchen Erwachsenen überfordert.“
Sando erwiderte nichts, sah den Beamten nur erwartungsvoll an.
„Ich könnte noch viel mehr des Lobes sagen, aber du hast ja gehört, wir haben nur fünf Minuten. Deshalb will ich gleich zur Sache kommen. Weißt du, was uns ein vollkommenes Rätsel ist? Das Retamin in diesem Haus. Die KORE-Leute hatten nachweislich keine Vorräte bei sich. Du bist einer der wenigen, die das Chaos in diesem Untersuchungsraum überlebt haben. Kannst du uns irgendeinen Hinweis geben, wo das Retamin hergekommen sein könnte?“
Sando schüttelte den Kopf.
„Es ist mir selbst ein Rätsel. Ich hatte die Augen zu vor Angst. Na ja …“ Er schämte sich ein wenig. „Ich dachte halt, ich wache nie wieder auf. Dann heulte plötzlich eine Sirene und das Chaos brach aus. Vor Schreck habe ich die Augen wieder aufgemacht, aber ich konnte gar nichts mehr sehen, weil der Nebel schon so dicht war.“
„Du hast also nicht gesehen, wo das Retamin herkam?“, hakte der Beamte noch einmal nach.
„Nein“, sagte Sando fest.
Wortlos zog nun der Beamte die blaue Tüte mit dem silbernen Kometenmenschen aus seiner Aktentasche hervor. Sando zuckte zusammen und es beschlich ihn das gleiche Gefühl wie auf der Pritsche beim Brainscreening.
„Bitte, Sando, du musst uns helfen! Ich weiß, dass wir dir viel zumuten. Diese Tüte haben wir den KORE-Leuten abgenommen. Weißt du, was darin war? Und wo ist es? Es geht um sehr viel, Sando. Von deiner Antwort hängt möglicherweise das Schicksal Katharsias ab.“
Die Beamten, gespannt auf die Antwort wartend, wagten kaum zu atmen. Von der Tür her kam ein nervöses Hüsteln. Der Ältere auf dem Stuhl fuhr herum.
„Was machen Sie hier?“, raunzte er Doktor Fasin an. „Diese Befragung ist streng geheim! Verlassen Sie sofort den Raum!“
„Er ist noch nicht so weit. Es strengt ihn zu sehr an. Ich als Arzt …“, hob Doktor Fasin an. Doch ehe er zu Ende sprechen konnte, hatte ihn der Jüngere mit sanfter Gewalt zur Tür hinausgeschoben.
Der Wortführer wandte sich wieder Sando zu, der jetzt die Augen geschlossen hielt, um nicht permanent auf die Tüte starren zu müssen.
„Nun, Sando, was ist? Sprichst du mit mir?“ Der Beamte unterdrückte nur mit Mühe seine Ungeduld. „Du musst uns sagen, wenn du etwas weißt.“
In Sandos Erinnerung erstanden die Bilder vom Tag seiner Ankunft. Doch er zögerte, davon zu
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