Katharsia (German Edition)
Bett mit dem Patienten durch die Tür.
„Nicht nötig“, rief Sando ihr nach. „Wir haben uns gut unterhalten.“
„Sehen Sie?“, triumphierte Jannis, bereits auf dem Gang. „Er will, dass ich zurückkomme.“
„Der Junge ist zu gut erzogen, um etwas anderes zu sagen“, hörte Sando noch die Entgegnung der Schwester. „Ich an Ihrer Stelle würde mir nichts darauf einbilden.“
Dann schloss sich die Tür und Sando war wieder allein. Allein mit seinen Gedanken, die der Begegnung mit Jannis dem Träumer nachhingen, dem verrückten Alten, der forderte, alles Retamin Katharsias für die Auflösung des Hades zu opfern.
So utopisch dieser Plan auch anmutete, Sando konnte ihm eine gewisse Sympathie nicht versagen. Er legte die Hand auf seine Brust, wo er das Medaillon mit dem Hühnergott spürte. Vielleicht hatte Katharsia wirklich bald genügend von diesem Lebensstoff, um über die Forderung des Träumers ernsthaft nachdenken zu können. Doch war man überhaupt bereit dazu? Was würde Ben sagen, der als Mitglied der Einwanderungskommission Seelen für ewig in den Hades einwies? Nachdenklich strich sich Sando mit dem Mittelfinger der rechten Hand über die Augenbraue.
Ein lautes Klirren. Sando schreckte auf. Die Scheibe eines der offenen Fensterflügel war zu Bruch gegangen. Jemand musste einen Stein geworfen haben. Der Streit auf der Straße eskalierte. Die Polizei schien jetzt endgültig durchzugreifen, die Menge zurückzudrängen.
Über den Boden des Krankenzimmers verstreut lagen Scherben. Und dicht vor seinem Bett entdeckte Sando den Stein. Er war umwickelt mit einer Schnur, unter der ein Zettel steckte.
Sando bückte sich danach, befreite den Stein von der Schnur und faltete den Zettel auseinander. In krakeliger Schrift stand darauf zu lesen: „Ich habe dich nicht vergessen. Wir sehen uns, Hasenscharte!“ Draußen jaulte ein Motorrad auf. Das Geräusch verlor sich in der Ferne.
Allmählich ebbte auch das Geschrei von der Straße ab.
Sando wühlte seinen Kopf ins Kissen. Endlich war Ruhe und der Schlaf übermannte ihn.
Hätte Sando geahnt, dass der nächste Tag der Tag seiner Entlassung aus der Klinik sein würde, er hätte sicher nicht so lange geschlafen. Doch Doktor Fasin hatte Anweisung gegeben, den jungen Patienten nicht, wie in Krankenhäusern üblich, in aller Herrgottsfrühe zu wecken, weil sonst die Schwestern ihrer Arbeit nicht Herr wurden, sondern ihn ausschlafen zu lassen, damit er wieder ordentlich Kraft schöpfen konnte. So stand die Sonne bereits hoch am Himmel, als Sando erwachte.
„Na, Sando? Ausgeschlafen? Die Nacht war recht turbulent, wie ich hörte“, begrüßte ihn Doktor Fasin.
Über Sandos Gesicht huschte ein Schatten, doch schnell hellte es sich wieder auf. Der lange Schlaf hatte die unangenehmen Erinnerungen verblassen lassen. Das Tageslicht tat sein Übriges, sodass Sando auf den Seelendoktor einen recht ausgeglichenen Eindruck machte.
Auf dem Tischchen neben dem Bett stand ein Frühstück bereit. Sando langte tüchtig zu.
„Du hast dich erstaunlich schnell gefangen“, erklärte Doktor Fasin, der den gesunden Appetit des Jungen mit Genugtuung registrierte. „Ich denke, ich kann guten Gewissens veranlassen, dass du noch heute entlassen wirst.“
Diese Eröffnung nahm Sando mit strahlenden Augen zur Kenntnis. „Wo ist Fatima?“, fragte er gut gelaunt, einen Apfel schälend. Doktor Fasin verkniff es sich, einen Vortrag über Vitamine in Apfelschalen zu halten.
„Sie packt bereits. Wir brechen in der nächsten Stunde nach Makala auf. Wir sind ja nicht mehr vonnöten hier.“
„Sie kommt nicht mehr in die Klinik?“, rief Sando enttäuscht aus und steckte sich ein geschältes Apfelstück in den Mund. Er musste an Ben denken, der sein Leben dafür gegeben hätte, Fatima zu treffen, denn er war der festen Überzeugung, in ihr Djamila wiedergefunden zu haben. Er, Sando, hatte sie in Bens Erinnerung nur verschleiert gesehen, sodass er nicht sicher war, ob Ben mit seiner Annahme Recht hatte, zumal sich ihm Fatima als Wunschwesen von Doktor Fasin vorgestellt hatte.
„Ich hätte mich gern noch von ihr verabschiedet.“
Sando sprang aus dem Bett, holte seine Sachen aus dem Schrank und schlüpfte in die Jeans.
„Das kann ich gut verstehen“, lächelte Doktor Fasin. „Aber dringende Termine dulden keinen Aufschub. Zum Trost kann ich dir jedoch sagen, dass ich auf ein baldiges Wiedersehen hoffe, denn ein Seelendoktor wie ich könnte einen Jungen mit deinen
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