Katharsia (German Edition)
möchte sie wieder los sein, diese verfluchte Scharte, kannst du das verstehen?“
Sando nickte schniefend. Der Handschuh nahm ihm die Luft.
„Und wie soll ich das machen?“, bohrte Lemming weiter. „Ohne Retamin, ohne die Chance auf einen neuen Körper?“
Sando sah ihn an, die Augen vor Luftnot geweitet.
Mit einem Ruck befreite ihn Lemming vom Handschuh. Sando japste. Brechreiz überkam ihn. Er wurde hochgerissen, stand Aug in Auge mit Lemming.
„Geh in den See!“, befahl der.
Sandos Knie wurden weich. Ohne die Arme, die ihn mit eisernem Griff umklammerten, wäre er zusammengesunken.
„Was soll ich dort?“ Seine Zähne klapperten vor Angst. Wollten sie ihn ertränken? Wollte ihm Lemming seinen Tod mit gleicher Münze heimzahlen?
„Na? Todesangst?“, hörte er Lemming sagen. „Du kannst dich beruhigen. Ich bin nicht so dumm und mache dich zum Märtyrer.“
Er ließ das Medaillon über seinem Kopf kreiseln.
„Außerdem bringe ich es nicht übers Herz, einen jung Verliebten mitten aus dem Leben zu reißen. Maria!“
Er lachte laut. „Maria, die schöne Klavierlehrerin!“
Das Pfeifgeräusch war wieder da.
„Haltet ihm die Augen zu!“, befahl Lemming.
Sando stöhnte auf, so brutal wurden ihm die Lider zugedrückt.
„Sei still und hör hin, wo das Glitzerding niedergeht!“
Es kostete Sando große Anstrengung, den Atem anzuhalten. Sein Herz puckerte. Blut rauschte ihm in den Ohren. Trotzdem versuchte er, sich auf das Geräusch des kreiselnden Medaillons zu konzentrieren. Das Pfeifen brach plötzlich ab. Wenige Augenblicke später platschte es im See.
„Lass ihn los.“
Sando konnte wieder sehen. Auf der Wasserfläche waberte ein Wellenkreis. Sando prägte sich die Position ein.
„Geh in den See, wenn du es wiederhaben willst!“
Die Arme, die ihn umklammert hielten, ließen ihn frei, stießen ihn zum Ufer hin. Er stolperte, schlug in den Sand. Mühsam hob er den Kopf. Der Sonnenball war längst hinter dem Horizont verschwunden, warf nur noch einen roten Schein auf eine Handvoll Wolken, die verloren am Himmel klebten.
Sando raffte sich auf. In den See! Ohne Hühnergott konnte er sich nicht bei seinen Gefährten blicken lassen. Und er musste sich beeilen. Das Licht schwand. Bald würde er nichts mehr erkennen können.
Trotz der Schwäche, die in seinen Gliedern steckte, zog er sich aus und lief ins Wasser. Schaudernd spürte er, wie die Pflanzen um seine Beine strichen. Der Grund fiel steil ab. Er begann zu schwimmen, versuchte dabei, sich möglichst flach zu halten. Bis zu der Stelle, die er sich eingeprägt hatte, war es noch ein Stück.
„Na dann, viel Glück, Glattgesicht!“, hörte er Lemming schreien.
Motoren jaulten auf. Der Höllenlärm ließ die Wasserfläche erzittern. Schnell entfernte er sich, war bald ein leises Summen wie ein ferner Wespenschwarm.
Noch lebe ich , dachte Sando, und wenn es mir gelingt, den Hühnergott zu finden, wird alles gut.
Er sog seine Lungen voll Luft und steckte den Kopf unter Wasser. Nun sah er das undurchdringliche Geflecht aus Wasserpflanzen. Hier irgendwo musste sich das Medaillon mit der Kette verfangen haben. Er schwamm dicht unter der Wasseroberfläche und hielt Ausschau nach einem Glänzen im verwirrenden Grün der schwerelos schwebenden Vegetation. Blätter, langgestreckt wie Bänder, strichen an seiner Haut entlang. Ihn schauderte. Rasch tauchte er auf. Atmete tief. Sah sich um, ob er noch an der richtigen Stelle war.
Dann ein zweiter Versuch.
Mit den Händen teilte er nun vorsichtig das dichte Geflecht. Er wagte sich ein wenig tiefer. Hinter jedem Blatt, das er beiseite schob, hoffte er, ein Blinken zu entdecken. Doch nichts. Die Luft wurde knapp und es gelang ihm, wieder aufzutauchen.
Ein paar Atemzüge später der dritte Versuch.
Er wagte sich noch tiefer hinab. Er tauchte, bis das Licht nicht mehr reichte, um das Medaillon zu erspähen, bis sich die Pflanzen, Tentakeln gleich, um seinen Körper schlangen, bis sich seine Arme und Beine verfingen in dem Geflecht, das aus einer ungeheuren Tiefe emporzuwachsen schien.
Sando riss an seinen Fesseln, schlug um sich. Luft! Er zuckte wie eine Fliege im Spinnennetz. Wie lange würden seine Kräfte reichen? Luft! Die Lungen schmerzten, als wollten sie zerplatzen. Blasen quollen ihm aus Mund und Nase. Noch einmal bäumte er sich auf. Ein letztes Zucken, dann gab er auf. Eine große Ruhe hüllte ihn nun ein, ein sanftes Schweben. Einzig die Wellen, die an seine Ohren schwappten,
Weitere Kostenlose Bücher