Katharsia (German Edition)
von Jannis gewiesenen Weg eingeschlagen. Er wurde sich dessen erst bewusst, als die Dunkelheit, durch die er stolperte, von einem merkwürdig schimmernden Licht durchbrochen wurde. Die Bäume, die den Wegrand säumten, warfen ihm einen schwachen Schatten entgegen, als schiene vor ihm der Mond. Doch die Nacht war mondlos. Woher kam dieser Schein? Mit jedem Schritt, den Sando tat, wurde es ein wenig heller.
Und dann, nach einem kleinen Hügel, sah er die Quelle des Lichts. Dort, wo der Weg auf die Straße traf, stand ein Fahrzeug, dessen Scheinwerfer ihn blendeten.
Die von Jannis versprochene Hilfe?
Sando zögerte. Sollte er sie annehmen? Was würden seine Freunde sagen, wenn er ohne Hühnergott erschien? Ihn fröstelte, doch es kam nicht von der Kälte, die noch immer in seinen Knochen saß. Unschlüssig stand er im Licht, einen riesigen Schatten auf die Bäume hinter sich werfend. Wer immer dort hinter den grellen Scheinwerfern hockte, musste ihn längst entdeckt haben. Also weiter!
Langsam setzte er seine Füße wieder in Gang. Am Fahrzeug regte sich nichts. Niemand rief ihn an, niemand kam ihm entgegen.
Seltsam , dachte Sando. Aber er blieb nicht stehen. Ob ihn Freund oder Feind erwartete, war ihm egal. Was sollte ihm noch passieren? Trotzig ging er dem Licht entgegen, bis er dicht vor den Scheinwerfern stand.
Es blieb still. Er trat heraus aus dem blendenden Lichtkreis. Jetzt erst erkannte er ein Schwebemobil. Es lag am Boden wie ein gestrandetes Schiff. Die Türen standen offen.
Zögernd trat Sando näher. Unter seinen Füßen knirschten Glassplitter. Die Frontscheibe war geborsten, das Dach darüber eingedrückt. Das abgerissene Taxischild baumelte an einem Draht in der offenen Fahrertür.
Sando stutzte. War das etwa das Taxi, das ihn zum See gebracht hatte? Sollte Lemmings Bande …?
Mit banger Vorahnung schob er das Schild beiseite und schaute in das Wrack hinein. Er fand den Fahrer bewusstlos und erkannte ihn wieder.
Er musste Hilfe rufen, suchte das Taxi nach einem Mobiltelefon ab.
Nichts. Vielleicht trug der Fahrer eines bei sich?
Es kostete ihn große Überwindung, den bewusstlosen Mann abzutasten.
Wieder nichts. Auch mit dem Bordfunk kam Sando nicht weiter. Er hämmerte auf den Schaltern und Knöpfen herum. Vergebens. Der Monitor blieb schwarz, die Instrumententafel tot.
Ein Wunder, dass draußen das Licht brennt , dachte Sando, als er erschöpft aus dem Gleiter stieg. Etwas abseits dieser grausigen Szenerie, noch im Streulicht der Scheinwerfer, ließ er sich fallen. Er wusste nicht weiter, war keines Gedankens mehr fähig.
Die versprochene Hilfe kam mit kreiselnden Warnlichtern und heulender Sirene. Bremsen quietschten. Türen wurden aufgerissen.
„Dort ist er! Gott sei Dank!“
Eiliges Fußgetrappel.
„Sando? He, Sando, kannst du antworten? Ich bin es, Ben. Geht es dir gut?“
Eine andere, tiefe Stimme drängte voller Ungeduld: „Geh mal zur Seite, Junge! Es sieht aus, als ob dein Freund Hilfe braucht.“
Eine Hand fühlte seinen Puls. „Es scheint alles in Ordnung zu sein. Vielleicht der Schock …“
Sein Augenlid wurde angehoben. Eine Lampe leuchtete hinein. Sando blinzelte.
„Na also, wir kommen wieder zu uns!“, brummte die tiefe Stimme zufrieden.
Sando richtete sich auf, wollte etwas sagen, doch alles, was ihm einfiel, war der Verlust des Hühnergottes. Ihm fehlte die Kraft, darüber zu sprechen. Also blieb er stumm.
„Schon in Ordnung, Sando. Lass dir Zeit!“ Ben klopfte ihm auf die Schulter. „Wir haben uns schon ernsthaft Sorgen um dich gemacht.“
Bens Berührung tat Sando gut.
Sag es ihm , dachte er. Sag es ihm jetzt!
Um ihn herum herrschte hektische Betriebsamkeit. Warnlichter blitzten. Der Fahrer wurde aus dem Wrack des Taxis gehoben und auf eine Trage gelegt. Männer in weißen Schutzanzügen liefen umher und suchten mit Taschenlampen den Boden nach Spuren ab.
„Der Hühnergott …“, flüsterte Sando.
„Hast du etwas gesagt? Versuch es ein wenig lauter.“ Ben schaute ihn aufmerksam an.
Sando spannte mühsam sein Zwerchfell. „Der Hühnergott ist weg!“ Jetzt war es heraus.
Ben schaute ihn ungläubig an. „Sagtest du eben, der Hühnergott ist weg?“
Bens ungläubiger Blick. Genau das hatte Sando befürchtet. Er schlug die Augen nieder. Nickte nur.
„Aber … das geht doch nicht … er kann doch nicht einfach weg sein?“
Sando sah ihn nicht an.
„Wo hast du ihn verloren, verdammt? Oder hat ihn dir jemand gestohlen? So rede
Weitere Kostenlose Bücher